Dagobert-Duck-Kapitalismus?

Veröffentlicht am 18. Februar 2019

von Michael Wendl

Das bedingungslose Grundeinkommen – ein Ladenhüter

Die Debatten über ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) markieren einen Ladenhüter der Geschichte sozialer Ideen. Begonnen hatte die aktuelle Diskussion bereits in den 1980-er Jahren, als die zunehmende Digitalisierung der Produktion die These vom Ende der Arbeitsgesellschaft von Hannah Arendt (1962) wieder aktualisieren konnte. In den 1980-er Jahren hieß das BGE noch GME, also Garantiertes Grundeinkommen. Die Debatte hatte wie heute zwei ideologisch aufgeladene Quellen, einmal eine neoliberale, die sich gegen den damals noch keynesianischen Wohlfahrtstaat richtete und eine emanzipatorisch verstandene utopischer Idee, die von der Überwindung falscher oder entfremdeter Lohnarbeit träumte. An diesen beiden ideologischen Strömungen hat sich nichts geändert und auch die Angst vor dem Ende der Arbeitsgesellschaft, anders gesagt vor technologischer Arbeitslosigkeit ist geblieben oder wieder erneuert worden. In dieser Kritik an dieser Idee in ihrer emanzipatorisch-utopischen Variante gehe ich in 4 Schritten vor.

Erstens geht es um die Größenordnungen der Kosten eines BGE und die damit verbundenen Größen der Einkommensumverteilung. Es geht also darum, ob ein existenzsicherndes BGE im Rahmen des deutschen Kapitalismus überhaupt finanzierbar ist.

Zum zweiten geht es um die Rückwirkungen eines Grundsicherungs- bzw. Grundeinkommensmodells auf die bestehende Sozialversicherung, hier die Renten- und die Arbeitslosenversicherung.

Zum dritten geht es um den strategischen Stellenwert des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) im Rahmen einer Systemtransformat. Das heißt: Ist das ein Modell im Kapitalismus, um diesen erträglicher oder sozialer zu machen? Oder  ist es ein Instrument  zur Veränderung in dem Sinn, dass mit der Einführung des BGE gleichsam „systemfremde“ Elemente im Kapitalismus durchgesetzt werden, um diesen zu einem „Mischsystem“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu machen, in dem Sinn, dass es Märkte und kapitalistische Produktion gibt, aber daneben einen breiten und differenzierten nichtkapitalistischen Sektor, der einerseits aus dem staatlichen Bereich und andererseits aus einer Bandbreite von über Grundeinkommen finanzierten Tätigkeiten besteht? Oder provokant gefragt, geht es nur um ein bescheidenes „Schlaraffenland“ für Erwerbslose und Altersarme, das einfach besser ist als das Elend und die Schikanen im Hartz IV-Regime?

Oder in die Zukunft gedacht:  Ist es eine neue kommunistische Utopie für die Zukunft? Grundeinkommen in einer nichtkapitalistischen Gesellschaft für alle, wer aber mehr haben will, arbeitet zusätzlich in einer vergesellschafteten Ökonomie, die ihre Überschüsse einmal für Investitionen (gerade in Bildung und Forschung), zum anderen für das Grundeinkommen ausgibt.

Zunächst gibt es zwei Probleme: so strategisch wird die Debatte über Grundsicherung oder Grundeinkommen gerade nicht angegangen. Es gibt einen völlig subalternen Streit über Höhe und Sanktionsfreiheit nach dem Motto, die weitgehendere Forderung muss die bessere Forderung sein. Zum Zweiten wird überhaupt nicht reflektiert, dass mit der Forderung nach dem BGE eine neue Klassengesellschaft gefordert wird: die Unterscheidung zwischen Erwerbsarbeit und Nichterwerbsarbeit. Die gibt es heute bereits, allerdings umgekehrt: die Unterscheidung zwischen Rentiers, also den Beziehern von Kapitaleinkommen ohne eigene Arbeitsleistung und arbeitender Bevölkerung, bei der die sozialen Transfers bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter auf vorhergegangener Arbeitsleistung beruhen. Mit der Forderung nach dem BGE tritt eine neue „Klasse“ von allerdings „alternativen Rentiers“ und zwar eine extrem bescheidene Variante auf die politische Bühne.

Im Folgenden soll versucht werden, diese Fragen ansatzweise zu beantworten:

  1. Umverteilung

Ein bedingungsloses Grundeinkommen in der populären Höhe von individualisiert 1000 € wird rund 1000 Mrd. € pro Jahr kosten. Bedingungslosigkeit bedeutet, dass es keine Voraussetzungen für den Bezug des BGE, wie Bedürftigkeit oder Arbeitslosigkeit geben wird, was dazu führt, dass jedes Gesellschaftsmitglied ab einem bestimmten Alter Anspruch auf ein BGE hat. Das ist eine enorme Fehlallokation von finanziellen Ressourcen, da nur eine kleine Minderheit ein solches BGE aus materiellen Gründen, also aus Arbeit benötigt. Diese enorme Verschwendung von öffentlichen Einnahmen ist der Preis für die Bedingungslosigkeit des Einkommens. Wie können diese mindestens 1000 Mrd. € finanziert werden?

Das Volumen der Einnahmen aus Bundessteuern lag 2017 bei knapp 310 Mrd. €. Ein Rückgriff auf Länder- und Gemeindesteuern ist unrealistisch, weil damit diesen Gebietskörperschaften die Finanzgrundlage entzogen werden. Von diesen 310 Mrd. € können staatliche Transfers, wie die Ausgaben für Hartz IV- Transfers, die dann nicht mehr anfallen. 2017 waren das rund 40 Mrd. €. Damit benötigen wir für ein ein BGE von 1000 € ein erhöhtes Aufkommen aus den Bundessteuern in einer Größenordnung von rund 960 Mrd. €.  Das werden dann Einkommenssteuern auf hohe Arbeitsentgelte, Vermögens- und Unternehmenssteuern und die Umsatzsteuer sein. Das Problem besteht hier darin, dass 2017 das gesamte Volkseinkommen 2,457 Mrd. € beträgt. Es zerfällt in 1,669 Bio. € Arbeitnehmerentgelte und 778 Mrd. € Unternehmens- und Vermögenseinkommen. Dazu kommen noch die Abschreibungen, wobei ich hier davon ausgehe, dass sie nicht für ein BGE verwendet werden können, weil das die Substanz einer nationalen Ökonomie beschädigen würde. Aus diesen beiden Größen Arbeitnehmerentgelte und Kapital- und Vermögenseinkommen müssen daher 960 Mrd.€ zur Finanzierung eines BGE abgezweigt werden.

Hier gibt es den ersten Zielkonflikt mit der an der post-keynesianischen Theorie orientierten Linken in Partei und Gewerkschaften. Diese strebt eine, wenn auch erheblich geringere Umverteilung ebenfalls an, aber sie will einen großen Teil davon für öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Erziehung und Bildung, für eine Ausweitung der öffentlichen Beschäftigung und für einen ökologischen Umbau investieren. Die Keynesianer plädieren für Investitionen in die Zukunft der Gesellschaft, eine Zukunft, in der heute Arbeitslose wieder Beschäftigung finden und nicht durch ein Grundeinkommen vom Arbeitsmarkt abgekoppelt werden, um dadurch den Arbeitsmarkt zu entlasten. Die Anhänger des BGE plädieren dagegen einmal für den zeitnahen Konsum, in der Perspektive für den Ausstieg aus der Erwerbsarbeit („Ende der Arbeitsgesellschaft“).

Um diesen Zielkonflikt aufzulösen, können wir noch mindestens einmal 150 Mrd.€ dazurechnen, um die Erneuerung der öffentlichen Infrastruktur zu finanzieren. Im Klartext: Es müssen mit Hilfe der staatlichen Gesetzgebungsmacht den reichen Privathaushalten und den profitablen Unternehmen rund 1100 Mrd. € jährlich als Daueraufgabe abgenommen werden. Das gesamte Steueraufkommen würde damit einschließlich der indirekten Steuern von auf rund 1800 Mrd. € ansteigen. Das Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen lag 2008 bei 788 Mrd.€. Wenn dieses konfiskatorisch besteuert wird, können daraus höchstens 250 Mrd. € zusätzliche Einkommen generiert werden, weil ein bestimmtes Volumen für zusätzliche Investitionen in einer Größenordnung von 300 bis 400 Mrd. € weiter zur Verfügung stehen muss.

Dann fehlen aber noch mindestens 750 Mrd. €, die aus den Arbeitnehmerentgelten oder dann doch aus indirekten Steuern abgezweigt werden müssen. Theoretisch ist es vorstellbar, dass die hohen Arbeitnehmerentgelte sehr hoch besteuert werden, aber bei einem Gesamtvolumen der Lohn- und veranlagten Einkommenssteuer von 250 Mrd. € (2017) ergeben sich daraus vielleicht noch einmal gerade 50 Mrd. €, weil dieses Steueraufkommen insgesamt nicht ausreichend groß ist. Deshalb wird kein Weg daran vorbei gehen, dass das Finanzierungsvolumen des Sozialstaats (Sozialversicherungen und staatliche Transfers) deutlich verringert werden muss, wie das zentral aus der neoliberalen Sicht gefordert wird (siehe unter 3.).

Die mit Umverteilungsprozessen in solchen Größenordnungen verbundenen politischen Auseinandersetzungen sind gewaltig, das Aufkommen aus der Körperschaftssteuer müsste sich dann rund vervierfachen, aber auch das Lohnsteueraufkommen würde sich zu Lasten der hohen Arbeitseinkommen um rund ein Viertel erhöhen. Zugleich würden Leistungen der sozialen Sicherung dramatisch reduziert. Im Kern läuft es auf eine groß dimensionierte Umverteilung zugunsten der höheren Einkommen hinaus, deren stärkere Besteuerung im Volumen unter den 1000 € liegt, mit den sie vorher subventioniert wurden

Das verstößt klar gegen das Leitbild sozialer Gerechtigkeit, das auf der Vorstellung eines auf eigener Arbeit basierenden Einkommens basiert. Die große Mehrheit der abhängig Beschäftigten wird die deutliche Reduzierung ihrer auf eigene Arbeit basierenden sozialen Ansprüche entschieden ablehnen. Daher wird sich sofort die Durchsetzungsfrage stellen. Anders gesagt, welches politische Subjekt soll diesen massiven Prozess der Umverteilung nicht nur auf die politische Tagesordnung setzen, sondern auch durchsetzen?  Die Erwerbslosen mit Sicherheit nicht, denn ihre gesellschaftliche Konfliktfähigkeit ist gering, anders als die abhängig Beschäftigten können sie ihre Arbeitskraft nicht verweigern, weil diese nicht nachgefragt wird. Die Erwerbslosen benötigen daher Bündnispartner für die Durchsetzung eines allgemeinen Grundeinkommens. Sie werden sie nicht bekommen, wenn das Grundeinkommen höher ist, als die Nettoeinkommen aus schlecht bezahlter Lohnarbeit. Insofern hat die politische Realisierung des Grundeinkommens die Durchsetzung eines erheblich höheren gesetzlichen Mindestlohns zur Voraussetzung. Die Hoffnung, ein Grundeinkommen durchzusetzen, das höher ist als das Nettoeinkommen aus dem gesetzlichen Bruttomindestlohn ist eine absurde Träumerei. Es kommt hinzu, dass ein Grundeinkommen von 1000 € niedriger ist, als der Regelsatz von Hartz IV plus die Kosten des Unterhalts in den Metropolen mit hohen Mietkosten,

Der Hinweis auf die hohen privaten Vermögen („Geld ist genug da“), zielt auf Vermögen, also auf eine Bestandsgröße, nicht aber auf Einkommen, also auf eine Stromgröße. Einkommen können aber nur durch Einkommen finanziert werden, nicht – oder nur zeitweise – durch das Abschmelzen von Vermögen. Dieses hat sich zu Kapital materialisiert und erzeugt aus der Anlage von Kapital Zinsen und Renten. Wenn es abgeschmolzen wird, verringern sich die daraus resultierenden Einkommen, deren konfiskatorische Besteuerung gerade die Grundeinkommen finanzieren soll. Diesen magischen Topf an Geldvermögen, den es zur Finanzierung des Grundeinkommens anzuzapfen gelte, um das“ Schlaraffenland“ der alternativen „Rentiers“ von der Utopie zur Wirklichkeit zu machen, gibt es nicht. Die populäre und linke Vorstellung des „Geld ist genug da“ hat eine gemeinsame Schnittmenge mit der Vorstellung der Akteure auf den Finanzmärkten, dass sich Geld aus sich selbst heraus vermehrt („Geld arbeitet“). Der Siemens-Finanzvorstand Joe Kaeser hat diese Geldillusion nach der Finanzmarktkrise auf den Punkt gebracht:“Es war Geld da ohne Ende, aber das Geld war eigentlich gar nicht da, aber man hat gedacht, es wäre da.“ (SZ vom 28.3.09). Das Denken in einem Dagobert-Duck-Modell meint, dass die deutsche Wirtschaftsgesellschaft quasi auf einen gigantischen Geldtopf sitzt, der nur ausgeschüttet werden muss.

Beide Sichtweisen, die neoliberale und die emanzipatorisch-utopische basieren  darauf, dass die eigentlichen Quellen der Wertschöpfung, die lebendige Arbeit und die Natur nicht gewusst werden, dass im Gegensatz dazu, dem Kapital eine eigene Potenz der Wertschöpfung und Wertvermehrung angedichtet wird, an der jetzt endlich auch die Erwerbslosen partizipieren wollen, obwohl ihr eigenes Arbeitsvermögen, also ihre Arbeitskraft aus dem Wertschöpfungsprozess ausgegrenzt worden ist. Ihre unentgeltliche Mehrarbeit ist nicht mehr gefragt, was sie  im Gegenzug zwingt, an den Resultaten der unentgeltlichen Mehrarbeit der eigentlichen Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums, also aus dem Mehrwert der produktiven Lohnarbeiter des Kapitals abgeleiteten Einkommen, über  soziale Transfers teilzuhaben. Bis 2004 wurde diese Abhängigkeit durch die Arbeitslosenversicherung geregelt. Abzüge vom Lohn sicherten ein Einkommen für Phasen der Arbeitslosigkeit. Mit den Hartz-Reformen wurde dieser „Klassenfonds“ der abhängig Beschäftigten in eine staatliche Armutsverwaltung mit dem Ziel des Lohndumpings im Niedriglohnbereich transformiert. Damit ist aber auch der Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Arbeitseinkommen und der daraus abgeleiteten Sozialeinkommen verloren gegangen.

Weil dieser grundsätzliche Zusammenhang der Entstehung von Einkommen und ihrer  Verteilung in einer kapitalistischen Gesellschaft  aber nicht verstanden wird, kommt es zu dieser verrückten Vorstellung, die Höhe der aus dem gesellschaftlichen Mehrprodukt abgeleiteten sozialen Transfers sei allein eine Frage des Willens
und der Entschiedenheit bei der Artikulation der Forderungen und zum zweiten, es gehe dabei in erster Linie um eine Beschneidung der Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit und Vermögen. Diese Sicht wäre angemessen, wenn der sog. Produktionsfaktor Kapital eine eigene Potenz der Wertschöpfung hätte. Dann könnten wir uns über die Verteilung der daraus resultierenden Wertzuwächse entsprechende Gedanken machen (die Forderung nach einer Maschinensteuer beruht auf der gleichen Illusion oder Mystifikation).

Wenn dies aber nicht der Fall ist, wird der Blickwinkel völlig anders:  Dann geht es darum, dass aus der Ausbeutung der Lohnarbeit resultierende gesellschaftliche Mehrprodukt rational zu verteilen. Aus dieser Sicht ist es sinnvoller, in Erziehung, Bildung, Forschung und in eine ressourcenschonende Umweltpolitik zu investieren, als in den bloßen Konsum von Erwerbslosen. Was diese betrifft, ist es wiederum sinnvoller, in ihre Beschäftigung, d.h. in die gesellschaftliche Nutzung ihres Arbeitsvermögens zu investieren, als einen sozial abgefederten dauerhaften Abschied in den Sektor der Nichterwerbsarbeit zu subventionieren.  Dies ist auch im Interesse der Erwerbslosen, die eine gesellschaftlich sinnvolle Arbeit der Alternative eines öffentlich subventionierten „Müßiggangs“ auf bescheidenem Niveau in der Regel vorziehen werden. Gegenwärtig zwingt die mit den Bedingungen von Hartz IV verbundene persönliche Demütigung die Menschen dazu, dass die Rolle des bescheidenen, „alternativen“ Rentiers attraktiv wird.

  1. Abbau des Sozialstaats

Welche Auswirkungen hat ein bedingungsloses Grundeinkommen auf die bestehende Sozialversicherung?

Berührt sind davon direkt die Arbeitslosen- und die Rentenversicherung. Bezogen auf die Arbeitslosenversicherung besteht die Folge darin, dass diese durch ein allgemeines Grundeinkommen überflüssig wird. Arbeitslosigkeit führt dann zum Grundeinkommen. Bezieher höherer Arbeitseinkommen, die in der Phase der Arbeitslosigkeit mit der Höhe des Grundeinkommens nicht zufrieden sein können, also alle höher qualifizierten Beschäftigten, müssen dann eine zusätzliche Versicherung abschließen, die möglicherweise auch öffentlich angeboten wird (ob es dazu noch eine „Beteiligung“ der Arbeitgeberseite gibt, ist wenig wahrscheinlich).  Allgemein gilt, dass die Arbeitgeberseite sich mit der Einführung eines allgemeinen steuerfinanzierten Grundeinkommens aus der paritätischen Finanzierung der Sozialversicherung zurückzuziehen versuchen wird.  In der Rentenversicherung ist die Situation komplizierter: Ein allgemeines Grundeinkommen wird die gesetzliche Rentenversicherung finanziell entlasten und in der Folge in eine Zusatzversicherung für abhängig Beschäftigte mit höheren Einkommen transformieren. Da wir es hier aber um eine langfristig angelegte und eigentumsrechtlich garantierte Umlagefinanzierung handelt, werden die Beiträge für die nächsten 20 bis 30 Jahre hoch bleiben, da über die Beiträge bereits gegebene Rentenzusagen finanziert werden müssen.

Erst nach einem bestimmten Stichtag tritt dann die Kombination von allgemeinen Grundeinkommen und individuell erworbenen Rentenansprüchen in Kraft. Im Kern ändern sich dadurch nicht die Kosten für die Finanzierung der nicht mehr Erwerbstätigen, sondern nur die Verteilung dieser Kosten. Die Arbeitgeberseite wird einerseits entlastet durch eine Verringerung der Rentenversicherungsbeiträge, sie wird andererseits belastet durch die Steuerfinanzierung des allgemeinen Grundeinkommens. Die Arbeitnehmerseite wird ebenfalls entlastet, was die Beiträge zur Rentenversicherung betrifft, andererseits wird sie durch Steuererhöhungen stärker belastet. Unter dem Strich werden aber im theoretischen Modell beide Seiten stärker zur Finanzierung der Nichterwerbstätigkeit  herangezogen, weil ein Grundeinkommen nivellierende  Wirkungen hat, was heißt, dass niedrige Beitragszahlungen zu relativ höheren Einkommen  und höhere Einkommen zu relativ niedrigeren Sozialeinkommen führen, was dann mit zusätzlichen Versicherungen kompensiert werden muss. Im Kern verändert sich das bisherige System der Sozialversicherung als einer an den vorhergehenden Arbeitseinkommen orientierten Grundsicherung in eine Zusatzversicherung für die mittleren und höheren Arbeitseinkommen. Die Funktion der Grundsicherung wird dann von dem allgemeinen steuerfinanzierten Grundeinkommen übernommen. Die Kosten der Altersversorgung werden aus dem kollektiven System der Umlagefinanzierung ausgegliedert und individualisiert.

Rechtlich ist dieser Formwechsel hoch riskant. Abzüge von den Arbeitseinkommen für die soziale Sicherung begründen eigentumsrechtliche Ansprüche, bei einer steuerfinanzierten Grundsicherung ist dieser Zusammenhang völlig offen. In wirtschaftlichen Notzeiten können dann steuerfinanzierte Leistungen anders als beitragsfinanzierte Leistungen drastisch reduziert werden. Auch makroökonomisch spricht zunächst nichts für die Finanzierung von sozialen Transfers über Steuern, statt über die Löhne. Das basiert darauf, dass die deutschen Lohnstückkosten im internationalen Vergleich ausgesprochen niedrig sind und Deutschland  ein „Wirtschaften zulasten der Nachbarn“ oder eine „Beggar thy Neighbour –Policy“, anders gesagt, eine Politik der realen Abwertung innerhalb der europäischen Währungsunion ermöglicht haben.

Würde ein großer Teil der Sozialversicherungsbeiträge durch Steuern ersetzt, würde sich die überlegene Wettbewerbsposition der deutschen Unternehmen in der Währungsunion noch stärker verfestigen und in der Konsequenz die Währungsunion sprengen. Das Gleiche gilt für die Außenhandelsbeziehungen mit den USA und anderen wichtigen Wirtschaftsgesellschaften. In der makroökonomischen Perspektive muss der Übergang in eine Steuerfinanzierung sozialer Transfers daher mit einer deutlichen Erhöhung der Bruttoarbeitseinkommen und einem relativ hohen gesetzlichen Mindestlohn verbunden werden. Dann kann anstelle von annähernd paritätisch zu finanzierenden Beiträgen zur Sozialversicherung ein deutlich größer werdender Teil der sozialen Transfers über Steuern finanziert werden, wenn dies zugleich mit einer radikalen Besteuerung der Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit und Vermögen verbunden wird. In der Konsequenz würde damit Deutschland bei der Finanzierung des Sozialstaats den „skandinavischen“ Weg einschlagen.

Das würde insgesamt zu einer deutlich höheren Steuerquote in der Gesellschaft führen. Ob eine solche Gesellschaft aber bereit ist, darüber den komfortablen Ausstieg eines Teils der Gesellschaft in die Rolle von „bescheidenen Rentiers zu alimentieren, ist mehr als zweifelhaft. Die Gemeinschaft der Steuerzahler wird verlangen, dass die so subventionierten Gesellschaftsmitglieder für zumutbare Arbeit zur Verfügung stehen. Über die Frage, was in diesem Zusammenhang „zumutbar“ heißt, wird dann sicher politisch gestritten werden. Da gibt es andere Lösungen, als diejenigen, die mit Hartz IV fixiert worden sind. Aber auch in einem stärker steuerfinanzierten Sozialstaat wird es kein finanziell attraktives bedingungsloses Grundeinkommen geben. Es ist auch unter diesen veränderten Bedingungen in dem erforderlichen Volumen nicht finanzierbar.

  1. Gesellschaftstransformation?

Die dritte Frage nach dem Stellenwert dieser Forderung im Rahmen einer Transformation des kapitalistischen Systems in eine „postkapitalistische“ oder „sozialistische“ Gesellschaftsordnung ist einfach zu beantworten. Das BGE wird nicht als Einkommensform einer nichtkapitalistischen Gesellschaft betrachtet, sondern als mögliche Variante der Einkommensverteilung in den bestehenden kapitalistischen Gesellschaften. Dafür spricht, dass ein allgemeines Grundeinkommen auch zum wirtschafts- und sozialpolitischen Repertoire neoliberaler Reformvorschläge (z.B. bei Milton Friedman in der Form einer „negativen Einkommenssteuer“) gehört und auch die „linken“ Befürworter des BGE (wie z.B. Claus Offe) diesen Vorschlag in die gegenwärtige Finanzierungskrise des Sozialstaats einordnen. Diese wiederum thematisieren mit ihrem Plädoyer für ein BGE ein zentrales Problem: Das BGE kann in dieser Sicht eine selbst gestaltete Lebensführung der Menschen ermöglichen, weil diese sich nicht mehr dem Diktat unterwerfen müssen, jede Arbeit anzunehmen.  „Systemfremd“ sind solche Vorschläge allerdings nicht. Die Alimentierung von Nichterwerbstätigen durch die Erwerbstätigen gehört zu den Grundanforderungen, die jede Gesellschaft leisten muss. Ein bedingungsloses Grundeinkommen markiert hier einen Fortschritt, weil vom politischen Anspruch gesehen, die soziale Kontrolle der so subventionierten Gesellschaftsmitglieder aufgehoben wird. Anderseits sind die mit dem BGE verbundenen Einkommenserwartungen völlig illusionär. Über die Begrenzung dieser Sozialeinkommen wird sich indirekt wieder eine soziale Kontrolle, die zur Aufnahme von Lohnarbeit zwingt, durchsetzen.

Diese Frage lässt sich aber einfacher lösen: durch eine Änderung der Zumutbarkeitsbedingungen von angebotener Arbeit. Wenn nicht zumutbare Arbeit ohne Sanktionen abgelehnt werden kann – wie dies vor 1982 im Arbeitsförderungsrecht (AFG) geregelt war – stellt sich diese Frage nicht.  Es wäre schon viel gewonnen, wenn Hartz I bis IV einfach zurückgenommen würden und die Einkommensformen des AFG mit Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe mit dem Verständnis von zumutbarer Arbeit vor 1982 wieder institutionalisiert würden. Damit würde die makroökonomisch gesehen, nur absurde Vorstellung, die Arbeitslosen seien an ihrer Arbeitslosigkeit selbst schuld, fundamental korrigiert.

  1. Warum ist diese Ideologie populär?

Aus makroökonomischer Sicht absurde Regelungen wie die Hartz-Gesetze und ihre Praxis provozieren ähnlich verrückte Reaktionen. Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen gehört dazu. Aus einer ideologiekritischen Sicht geht es darum, zu erklären, warum so phantastische Modelle populär werden. Aus der neoliberalen Sicht ist diese Erklärung einfach. Der Neoliberalismus ist eine politische Utopie, die durch einen unbeirrbaren Glauben an die Effizienz freier Märkte bestimmt wird. Märkte erreichen hier aus sich selbst herauseine gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen, deren Unterschiede auf entsprechend unterschiedliche Leistungen zurückzuführen sind. Wenn alle ihrem eigenen Nutzen folgen und Staat und Gewerkschaften sie dabei nicht behindern, wird ein Optimum an Wohlfahrt gewonnen. Die der politischen Utopie des Neoliberalismus zugrundeliegenden ökonomischen Theorien werden zusammenfassend als neoklassisch bezeichnet, auch wenn sich unter diesem Begriff verschiedene Varianten wie der Monetarismus, der deutsche Ordoliberalismus und die Österreichische Schule zusammenfassen lassen. In der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie oder -doktrin gibt es keine unfreiwillige oder ökonomisch erzwungene Arbeitslosigkeit, sondern nur freiwillige Arbeitslosigkeit. Wer arbeitslos ist, hat nach dieser Ideologie beschlossen, dass der individuelle Nutzen von Nichtarbeit größer ist als das Leid der Arbeit, genauer der Lohnarbeit. Mit dem BGE wird für diese nutzentheoretisch bestimmte Entscheidung ein geeigneter institutioneller Rahmen bereitgestellt.

Aus einer emanzipatorisch verstandenen Sicht kann das als Weg zur Autonomie des Individuums, das zwischen selbstbestimmter Eigenarbeit und fremdbestimmter Lohnarbeit verstanden werden. Eine solche Sicht weit darauf hin, dass sich die Individuen in reifen kapitalistischen Gesellschaften in erster Linie als Individuen und nicht mehr als Angehörige einer sozialen Klasse oder eines sozialen Milieus verstehen, also von Gruppen, die in einer Klassengesellschaft eine ökonomisch und sozial bestimmte Position einnehmen. Sie verstehen sich als sozial ungebundene Individuen, die ihr Leben frei bestimmen wollen und dabei von den sozialen Voraussetzungen und Einschränkungen von Autonomie abstrahieren oder frei sein wollen. Eine sozial ungebundene Autonomie wird selbst zur Utopie eines freien Lebens.

Hier sehen wir eine Übereinstimmung mit dem sogenannten methodologischen Individualismus in den Sozialwissenschaften. Dieser geht bei der Untersuchung sozialer Handlungen vom Handeln der Individuen aus und spricht den Handlungen eine Intention zu, die als individuelle ökonomische Nutzenmaximierung verstanden wird. Dieser Individualisierungsprozess ist aber, gerade bei denen, die ihn ausleben wollen, ein Resultat sozialstaatlicher Sicherheit, der dazu geführt hat, dass bestimmte, früher als Stand oder Klasse bezeichnete Schranken in den Hintergrund getreten sind. Sie bestehen aber nach wie vor. Dieser Schein von Abwesenheit oder Unsichtbarkeit sozialer Schranken wirkt aber ganz überwiegend nicht für die große Mehrheit der abhängig Beschäftigten, deren Individualität durch die Machtverhältnisseim System der Lohnarbeit und durch die Höhe der Löhne bestimmt wird. Diese Vorstellung der Rationalität individuell motivierter Handlungen hat zur Folge, dass die Menschen zwar bewusst handeln, aber kein oder nur ein unzureichendes Bewusstsein über die gesamtgesellschaftlichen Bedingungen unter denen sie handeln, haben. Sie kennen die gesellschaftlichen und sozialstaatlich fundierten Voraussetzungen ihrer individuellen Handlungen nicht (mehr).

Diese Entwicklung kann auch erklären, warum die Parteien der politischen Linken, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht mehr in makroökonomischen oder gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen denken. Mit zentralen Begriffen der makroökonomischen Theorie, wie Leistungsbilanzsalden, Primär- und Sekundärverteilung, systematischen Marktungleichgewichten oder effektiver Gesamtnachfrage wird heute nicht mehr gedacht, weil sie mit den persönlichen Erfahrungen der Individuen nicht kompatibel sind. In der beschränkten Welt des Individuums kommen solche Größen nicht vor. Das Individuum sieht aber nicht, warum sein Horizont so beschränkt ist. Ökonomische Entscheidungen fallen aus einer nutzentheoretischen Sicht, aus der das BGE bewertet wird. Was nutzt es mir bei meiner Lebensgestaltung? Hinter diesem theoretisch nicht reflektierten Alltagshandeln stehen aber ökonomische Kalküle und entsprechende neoklassische Theorien, wie die Public-Choice Theorie eines James M. Buchanan und anderer. Die Anhänger des BGE stehen tief in der bürgerlichen Gesellschaft, auch wenn sie hier nur eine ganz bescheidene Rolle spielen wollen.

In der Konsequenz bedeutet diese Forderung die intellektuelle Resignation oder Kapitulation vor der Herausforderung einer politischen Gestaltung und Überwindung von kapitalistischen Gesellschaften. In der Frage um die Höhe dieses Einkommens geht es darum, für wie viel Geld potenzielle gesellschaftliche Opposition eingekauft und politisch stillgelegt werden kann. Das Tragische an diesem Angebot liegt darin, dass die ökonomischen und politischen Eliten die Erwerbslosen noch nicht einmal als gesellschaftliche Opposition identifiziert haben. Warum sollte sie für politische Abstinenz mehr bezahlen als das absolute Existenzminimum? Das emanzipatorisch gedachte Grundeinkommen gibt es nur als neoliberale Inszenierung.