Wohnen – kein Gut für Spekulationen

Veröffentlicht am 22. November 2016

 

von Michael Groß, MdB

Wohnen ist teuer geworden in Deutschland. Immer mehr Menschen zieht es in Großstädte und Ballungsräume. Arbeit, gute Infrastruktur, vielfältige kulturelle und sportliche Angebote, aber auch Bildungsvielfalt, engmaschige Versorgungsnetze im medizinischen Bereich bis hin zur breit gefächerten Betreuung von Kindern locken in die zentralen Städte. Leider gelingt es nicht, den Menschen, die mit den Füßen abstimmen und in Ballungszentren leben wollen, ein ausreichendes, bezahlbares und qualitativ gutes Angebot anbieten zu können. Große Nachfrage an Wohnungen, immens steigende Baulandpreise, lange vernachlässigte Wohnungsbaupolitik, die anhaltend niedrigen Zinsen tragen zu rasant steigenden Mieten bei, die die Menschen überfordern. Als gesichert geltende Geldanlage wird das Betongold zunehmend der Spielball von Lobbyisten und Spekulanten.

Es wird zwar so viel gebaut wie lange nicht mehr, Wohnungsbau und Stadtentwicklung sind aus dem langen politischen Schattendasein in den medialen Fokus gerückt, doch die Trendwende kann den steigenden Bedarf nicht so schnell kompensieren.

Mehr als 40 Prozent – teilweise sogar bis zu 60 Prozent – müssen die Bewohner für ihr zu Hause vom Haushaltseinkommen abgeben. Je geringer das Einkommen, desto höher der Einschnitt ins Haushaltsbudget. Wer einen langjährigen Mietvertrag hat, bleibt in der Wohnung, selbst wenn sie durch Auszug von erwachsengewordenen Kindern viel zu groß geworden ist. Ein Umzug, selbst in eine kleinere Wohnung, gleicht meist einer Mietverdopplung. Selbst bei einer Energieeffizienten Wohnung mit geringen Heizkosten verbleibt eine Miete, die dem kleineren und mittleren Geldbeutel überfordert.

 

Politisch reagieren wir mit Mietpreisbremse, verdichteten urbanen Bebauungsgebieten, nötigen Wohngeldanpassungen und Milliarden für den wiederentdeckten sozialen Wohnungsbau. Alles wichtige und dringend benötigte Schritte mit eindeutig sozialdemokratisch geprägter Handschrift.

Doch es ist ein Umdenken erforderlich, welches sich langsam auch in die Debatten mischt. Wohnen ist nicht nur ein einfaches Gut, angeboten auf einem Markt, der die Preise nach Nachfrage und Angebot bestimmt. Wohnen ist ein grundsätzliches Bedürfnis für uns. Verlieren wir unser Dach über dem Kopf, verlieren wir unser zu Hause, dann sind wir gesellschaftlich ausgegrenzt. Verlieren wir unsere Heimat, unser Quartier müssen wir unser soziales Umfeld neu entwickeln, unser soziales Netz neu knüpfen. Es ist schön, wenn man es selbst anstrebt, einen neuen Job, eine neue Stadt, neue Chancen, neue Möglichkeiten, die sich bieten, aber es ist ein gravierender Einschnitt, wenn es unfreiwillig eintritt.

Wir brauchen eine neue Gemeinwohlorientierung im Wohnungswesen. Der Markt allein regelt nicht die langfristigen Schwankungen und Zyklen. Eine soziale und nachhaltige Wohnungspolitik ist gefragt. Hierfür brauchen wir:

  1. Verstetigte soziale Wohnraumförderungmit 5 Milliarden Euro jährlich mit dauerhaften Sozialbindungen in gemeinsamer Verantwortung von Kommunen, Ländern und Bund.
  2. Ressortübergreifende Strategien, politische Konzepte und Förderkulissen auf allen Handlungsebenen, verstärkter Quartiersbezug
  3. Stärkung der sozialen Funktion des Mietrechts: Mietpreisbremse bundesweit flächendeckend einführen, §5 Wirtschaftsstrafgesetz anpassen, so dass zu hohe Miete als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann, angemessene Ausgestaltung der Modernisierungsumlage: Senkung der Modernisierungsumlage und geltend machen des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes für Mieter und Vermieter, so dass möglichst effiziente und kostengünstige Sanierungen erfolgen, verpflichtend, nachprüfbare Angaben zur Vormiete, rechtssichere Gestaltung des Mietspiegels auf breiterer Basis und längerem Bezugszeitraum
  4. Nachhaltige und soziale Boden- und Baulandpolitik, Rekommunalisierung von Boden
  5. starke kommunale Wohnungsbaugesellschaften und Stärkung genossenschaftlichen Wohnens als Korrektiv auf dem Wohnungsmarkt
  6. Reform der Grundsteuer, unter Berücksichtigung von demografischer Differenzierung hinsichtlich eines Steuertarifs sowie unter Berücksichtigung von Bodenmobilität bzw. Aktivierungsmöglichkeiten für Brachland, hin zu einer unverbundenen Grundsteuer
  7. Feste Verankerung der Gemeinwohlorientierung in der gesamten Wohnungswirtschaft
  8. Prävention vor Wohnungslosigkeit
  9. Verpflichtender Erhalt der vollen Instandhaltungsrücklagen bei Veräußerung von Wohnungsbeständen

Der Wohnungsmarkt hat deutlich gezeigt, dass eine Selbstregulierung zu starken Verwerfungen führt. Daher ist eine gute anteilige Mischung mit dauerhaft sozialgebundenen Wohnungen unbedingt erforderlich, um sozial schwächeren, aber auch niedrigen und mittleren Einkommensgruppen einen Zugang zum Wohnungsmarkt gewährleisten zu können. Wohnen ist Daseinsvorsorge und liegt somit auch in der Mitverantwortung von Bund, Ländern und Kommunen. Gerade auch Menschen, die einen erschwerten Zugang zum Mietwohnungsmarkt haben, durch Krankheit, frühere Abhängigkeiten oder anderen Dingen, bietet der soziale Wohnungsmarkt einen Zugang zum Wohnen und damit wieder die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben.

Wohnungslosigkeit entsteht oft schleichend. Zuerst findet eine langsame Verschuldung statt, im weiteren Prozess werden Mietzahlungen oft erst ausgesetzt, säumig beglichen bis hin zum völligen Verdrängen und der vollständigen Zahlungsunfähigkeit. Nach Schätzungen der Wohnungslosenhilfe (BAGFW) könnten 60-70 Prozent der Wohnungsverluste durch präventive Maßnahmen verhindert werden. Viele Vermieter sind auch daran interessiert, ihre Mieter zu halten. Bundesweit fehlt bisher jedoch eine konkrete Erhebung. Bisher hat NRW als einziges Bundesland eine statistische Erhebung von Wohnungslosen eingeführt, andere Bundesländer denken darüber nach. Sinnvoll wäre allerdings eine bundesweite, turnusmäßige Statistik gekoppelt an den Wohn- und Mietbericht oder auch den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Bundesweit sollte auch Präventionsfachstellen zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit eingerichtet werden, um Menschen vor dem schlimmen Fall des Verlustes des vertrauten Heims zu bewahren.

Die hohen Baupreise in Ballungsräumen sind maßgeblich geprägt durch die Baulandpreise. Um Spekulationen um Boden und Wohnungsbauland in Zeiten von Engpässen keinen Raum zu lassen, muss eine aktive Liegenschafts- und Bodenvorratspolitik betrieben werden. Die konsequente Anwendung von Sanierungs- und Entwicklungsgebieten oder die kooperative Baulandentwicklung durch Kommunen können hier entlastend wirken. Aber auch der Erhalt des kommunalen Zugriffs auf Boden muss verstärkt werden. So können revolvierende Bodenfonds Kommunen beim Bodenerwerb unterstützen, um den Boden der Spekulation zu entziehen und dadurch Handlungsoptionen für die Stadtentwicklung zu gewinnen.

Wohnungspolitik wirkt immer nur langfristig. Um einer Verknappung oder einem Überangebot von Wohnungen zu vermeiden, helfen nur Langfriststrategien. Selbst der schnellste Bau, bedarf einer Bauplanung, Baugenehmigungsverfahren und einer ordentlichen Bürgerbeteiligung, wenn er nicht scheitern soll. Auch funktioniert Wohnen allein, ohne Infrastruktur, ohne Stadt, ohne Ort oder Quartier drum herum, nicht. Deswegen ist ein Umdenken, wie es in Teilen bereits gestartet ist, zu einer gemeinwohlorientierten Wohnungspolitik als Teil der Daseinsvorsorge unerlässlich. Soziale Quartierslösungen, Kooperationen mit Pflege- und Betreuungsmöglichkeiten, das Angebot von barrierearmem Wohnraum zu geringen Mieten usw. muss stärker angereizt und belohnt werden. Wer sich für das Gemeinwohl engagiert, muss eindeutig Vorrang bei der Grundstücksvergabe erhalten oder durch steuerliche Anreize befördert werden, denn wer einen wichtigen Beitrag für stabile Nachbarschaften, für Integration und für den sozialen Zusammenhalt leistet, sich durch verantwortungsvolle Quartiersentwicklung auszeichnet, trägt zum Gemeinwohl und zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft, zur Teilhabe aller bei. Wohnungs- und Quartierspolitik gehen uns alle an.