Resolution: Das Jahrzehnt der Extreme – auf die SPD kommt es an

Veröffentlicht am 29. April 2022

Resolution zum völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine – 23. April 2022

DL 21

Das Jahrzehnt der Extreme – auf die SPD kommt es an 

Es ist wieder Krieg in Europa. Nicht der erste seit 1945, aber für viele der erschütterndste. Nie war seither das im Geiste des Friedens und Gewaltverzichts errichtete Völkerrecht in Europa so offenkundig allseitig verletzt, wuchs die Zahl der 5 Kriegsvertriebenen so stark.

Nie war die Gefahr einer alles zerstörenden atomaren Konfrontation seit 1990 so nah. Der Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine bringt Tod und Leid über Soldaten und Zivilist:innen. Er zerstört Lebensgrundlagen, vielfältige Verbindungen sowie politisches Vertrauen. Er ist deshalb unbedingt zu verurteilen.

Am 2. März 2022 verurteilte die UN-Vollversammlung den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wegen der massiven Verletzung der Charta der Vereinten Nationen mit 141 zu 5 Stimmen und forderte die Russische Föderation auf, sich unverzüglich und bedingungslos aus dem Land zurückzuziehen.
Die Not und das Leid des Krieges durch die Bombardierung von Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten und die Zerstörung von Wohnanlagen und Infrastruktur sind unermesslich. Tausende Menschen sterben, Millionen sind auf der Flucht. Unsere Solidarität gehört den Menschen in der Ukraine. Und natürlich den Geflüchteten. Wir danken allen Menschen in unserem Land, die den Geflüchteten helfen und ihre Situation ein Stück erträglicher machen.
Es ist ein Krieg, der mit konventionellen Waffen, aber unter dem russischen Atomschirm geführt wird. Auch deshalb muss jede weitere Eskalation verhindert werden und zeitgleich alles dafür getan werden, dass die Waffen schweigen.
DL 21 setzt sich dafür ein, dass die UN sofort mit beiden Seiten Verhandlungen über  den Waffenstillstand, Truppenrückzug und eine künftige Friedensordnung aufnimmt, bei denen es auch um den künftigen Status der ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk sowie die Krim geht. Auch die OSZE und die Europäische Union sollen in die Verhandlungen einbezogen werden. Die Grundlage dafür hat der UN-Beschluss geschaffen.
Das Leitbild für die Verhandlungen ist die Idee der gemeinsamen Sicherheit, die 1982 von der Unabhängigen Kommission „Common Security“ unter der Leitung des  damaligen schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme den Vereinten Nationen  vorgelegt wurde. Die Empfehlungen des Berichts standen in einem engen  Zusammenhang mit den beiden anderen UN-Kommissionen „Gemeinsames Überleben“, der Nord-Süd-Bericht von Willy Brandt, und „Unsere Gemeinsame Zukunft“, der Brundtland-Bericht für eine nachhaltige Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft. Sie sind wichtige Grundlagen für eine friedliche, partnerschaftliche und nachhaltige Weltordnung.

Daran knüpft auch der Bericht „Gemeinsame Sicherheit 2022“ an, der am 21. April 2022 in Stockholm veröffentlicht wurde. In der Einleitung heißt es: „In Zeiten akuten Krisen muss es diejenigen geben, die nach vorne blicken und eine Vision von einer besseren Zukunft geben können.“ Der Bericht wendet sich gegen Aufrüstung und Abschreckung und setzt dagegen Gemeinsame Sicherheit, Nachhaltigkeit und Demokratie. Er bezieht auch soziale und ökologische Bedrohungen ein, die zum  Krieg führen können.

Wir stehen an einer Wegscheide, an der es entweder zu einer Militarisierung der  Welt und der Gefahr großer Kriege kommt oder zu einer Weltinnenpolitik, die von Abrüstung und der sozialen und ökologischen Gestaltung der globalen Transformation ausgeht. Die SPD muss hierbei die große Friedenspartei sein. Andernfalls wächst die Gefahr, dass uns, wie auch im Hamburger Grundsatzprogramm der SPD steht, ein Jahrhundert neuer Gewalt und erbitterter Verteilungskämpfe steht. Welche Zukunft eintritt, dafür werden heute die Weichen gestellt.

Deshalb lehnen wir die Erhöhung der Militärausgaben ab, ebenso die Einrichtung eines Sonderfonds für die Aufrüstung der Bundeswehr, der im Grundgesetz verankert wird. Die DL 21 kritisiert, dass der Verteidigungsausschuss des Bundestags mit den Stimmen der Regierungsfraktion entgegen dem Parteitagsbeschluss der SPD der Anschaffung bewaffneter Drohnen zugestimmt hat. Die DL 21 verweist jedoch darauf, dass der Beschlusstext keinerlei Spielraum lässt, einen Einsatz ohne klar mandatierten Einsatzauftrag, Einsatzgebiet und die einzusetzen den Fähigkeiten durchzuführen. Die SPD-Fraktion wird angehalten, diesen Spielraum in Zukunft dafür zu nutzen, sich gegen den Einsatz bewaffneter Drohnen einzusetzen.

Ausdrücklich wenden wir uns auch gegen eine Fortführung der nuklearen Teilhabe.

Nichts kann und darf den Krieg rechtfertigen. Deshalb fordert die DL 21 heute umso mehr eine Politik, die sich an dem Leitbild der Gemeinsamen Sicherheit orientiert, ohne an der Aufrüstungsspirale zu schrauben.

Und nun?

Gegen die Logik des Krieges und der „Sicherheit durch Abschreckung“ muss eine weitsichtige Friedenslogik verfolgt werden.
Wir setzen uns daher dafür ein:
– Verhandeln jetzt! Es gibt nur eine Lösung über Verhandlungen, die von einem sofortigen Waffenstillstand flankiert werden und die eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur und Zusammenarbeit in Europa zum Ziel haben. Die UN und die OSZE sind aufgerufen, die Konfliktparteien jetzt an den Verhandlungstisch zu holen.

– Die russischen Truppen müssen abgezogen werden. Die staatliche Souveränität der Ukraine ist zu gewährleisten. Der Aggressor hat für die Kriegsschäden aufzukommen.
– Nach Abzug der russischen Armee muss auch die Mobilmachung der ukrainischen Truppen zurückgenommen werden. Paramilitärische Verbände müssen aufgelöst werden. Die Zivilbevölkerung muss überall Sicherheit haben.
– Internationale humanitäre Hilfe muss umfassend erfolgen.
– Allen Deserteuren aus Russland, Belarus und der Ukraine ist in der EU Schutz und Asyl zu gewähren.
– Auf Grundlage der SPD-Position, Waffenlieferungen in Kriegsgebiete abzulehnen,  beurteilen wir Waffenlieferungen weiterhin grundsätzlich kritisch.
Damit unterstützen wir, dass der Bundeskanzler und die SPD-Bundestagsfraktion in Bezug auf Waffenlieferungen in die Ukraine einen zurückhaltenden Kurs verfolgen können.
– Bei Sanktionen soll ihre Wirksamkeit dahingehend geprüft werden, ob sie wirklich die russische Führung als Verantwortliche für den Krieg treffen. Der Bevölkerung soll möglichst wenig Schaden entstehen. Sie sollen insbesondere nicht die weltweite Ernährungssicherheit gefährden und damit neue Gewaltkonflikte und Leiden hervorrufen.
– Abrüstung statt Aufrüstung! Hochrüstung für vermeintliche militärische Sicherheit hat Wettrüsten und Krieg verursacht, nicht den Frieden in Europa gesichert. Die Mittel müssen in die (globale) Bekämpfung des Klimawandels, den Aufbau eines bedarfsgerechten Gesundheitssystems, in Arbeit und Bildung für alle investiert werden. Nur Sicherheit für die Menschen ist wirkliche Sicherheit!
– Die nukleare Bedrohung muss aus der Welt geschafft werden! Das System nuklearer Rüstungskontrolle und Abrüstung muss wiederhergestellt und gestärkt werden. Wir setzen uns dafür ein, dass der Atomwaffenverbotsvertrag überall Geltung erhält!
– Es muss eine allgemeine Friedensarchitektur (wieder-)errichtet werden, die die Interessen aller Staaten berücksichtigt.

Wir brauchen eine Perspektive, durch die eine auf Dauer gleiche, gemeinsame Sicherheit und Frieden in Europa gerichtete Politik wieder möglich ist. Eine solche Perspektive wollen wir als Forum DL21 in Diskussion mit unseren Bündnispartner:innen innerhalb und außerhalb der Partei in den nächsten Monaten erarbeiten und auf einer kommenden Tagung diskutieren und beschließen.

Begründung:

Der Krieg hat eine Vorgeschichte. Nichts kann diesen brutalen Krieg rechtfertigen, aber wir müssen fragen, wie es dazu kommen konnte, wie die Vorgeschichte aussah. Für welche Fehler müssen unschuldige Menschen in diesem Krieg mit ihrem Leben und ihrem Leid einen hohen Preis zahlen. Wir müssen aus den Fehlern lernen.
1990 wurde von 32 europäischen Staaten sowie den USA und Kanada die „Charta von Paris für ein Neues Europa“ beschlossen. Darin heißt es: „Das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas ist zu Ende gegangen. Wir erklären, dass sich unsere Beziehungen künftig auf Achtung und Zusammenarbeit gründen werden.“

In demselben Jahr haben US-Außenminister Cyrus Vance, Bundeskanzler Helmut kohl und Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher Michail Gorbatschow versprochen, dass es nicht zur Osterweiterung der NATO kommen würde. Das wurde gebrochen, auch weil die USA die Doktrin eines konsequenten Unilateralismus verfolgt hat. Selbst die Ukraine hat wenig dafür getan, die Verträge von Minsk mit Leben zu erfüllen. Scharfmacher in Kiew haben die Abkommen nicht gewollt, nehmen ihr Zustandekommen sogar der deutschen und französischen Regierung übel.
Putin, der vor 15 Jahren nach Außen noch die Idee des gemeinsamen Hauses Europas vertrat, hat sich zu einem autoritären Herrscher und Kriegsverbrecher entwickelt. Er hat die nationalistischen Kräfte in den Isborsk- und Waldai-Klubs gefördert, die Verfassungsrechte eingeschränkt und einen Konflikt nach dem anderen angezettelt.

Die russische Führung hat 2008 einen Krieg in Georgien begonnen, in 2014 völkerrechtswidrig die Krim annektiert und mit seinem Eintritt in den syrischen Bürgerkrieg in 2015 nicht nur Machthaber Assad gestärkt, sondern auch die Zivilbevölkerung angegriffen.

Vor zwei Jahren hat Russland den Artikel 67 der Verfassung geändert und auf die „Ideale und den Glauben“ sowie „die Kontinuität in der Entwicklung des russischen Staates“ auf eine „tausendjährige Geschichte“ bezogen, deren Schutz zu gewährleisten ist.

Jetzt ist die russische Führung in einer Situation, in der sie nicht gewinnen kann, selbst wenn sie militärisch siegen würde. Der Krieg hinterlässt eine Ukraine der Zerstörung und Stagnation. Putin hat aus den Kriegen der letzten Jahrzehnte nichts gelernt.