Investitionsschutz und Schiedsverfahren

Veröffentlicht am 15. Dezember 2015

von Andrea Rugbarth, Serkan Bicen, Dirk Diedrich, Alf Epstein, Sönke Klages, Dietrich Lemke, Sebastian Mietzner

Investitionsschutz und Schiedsverfahren (1)

Liebe Genossinnen und Genossen,
Ihr seid sicherlich darüber informiert, dass das Schiedsgericht der Weltbank der Klage des US-amerikanischen Ölkonzerns Occidental Petroleum (Oxy) gegen Ecuador teilweise stattgegeben hat. Ecuadorianische Zeitungen berichten, dass das Land zur Zahlung von 1.061.775 US-$ verurteilt wurde; dazu kommen noch ca. 300 Mio US-$ an Gebühren und Zinsen plus 60 Mio. Anwaltsgebühren. Weiterhin berichtet die ecuadorianische „Kommission zur Überprüfung der bilateralen Investitionverträge“, dass vor internationalen Schiedsgerichten gegen das Land aktuell weitere 24 Klagen mit Forderungen von 14 Milliarden US-$ anhängig sind.
Das Beispiel Ecuador zeigt, dass Investitionsschutz durch Schadensersatz mittels Schiedsverfahren geeignet ist, die wirtschaftliche und damit auch die politische Handlungsfähigkeit eines Staates außer Kraft zu setzen. Denn die im Fall Oxy zu zahlenden 1,36 Mrd. US-$ entsprechen rund 8 % der gesamten Staatseinnahmen Ecuadors, die im Jahr 2009 15,7 Mrd. US-$ betrugen; die Streitsumme in den noch anhängigen Verfahren entspricht 85% der Staatseinnahmen. Zum Vergleich: Jene 8% bzw. 85% der Staatseinahmen würden sich in Deutschland auf knapp 100 Mrd. €, bzw. rund 1 Billion € belaufen.
Investitionsschutz durch Schadensersatz mittels Schiedsverfahren lehnen wir ja auch deshalb ab, weil es den Anforderungen eines rechtsstaatlichen Verfahrens nicht genügt: Gegen den Schiedsspruch gibt es kein Rechtsmittel, so dass nicht überprüft werden kann, ob das Schiedsgericht die seinem Spruch zugrunde liegenden Tatsachen zutrefend ermittelt und ob das Gericht die anzuwendenden Vertragsklauseln richtig angewandt hat. Dazu kommt, dass der beklagte Staat nicht seinerseits mittels Klage angreifen kann, dass die Verfahren geheim sind und damit die Öfentlichkeit keine Kenntnis von Argument und Gegenargument erlangt und dass weltweit die Schiedsverfahren von wenigen Kanzleien abgewickelt werden, die reihum die Rollen des Schiedsrichters, des Kläger- und des Beklagtenvertreters übernehmen: Dass diese Kanzleien ein wirtschaftliches Interesse am Schiedsverfahren haben, liegt auf der Hand.
Auf die nachdrückliche Kritik am Investitionsschutz mittels Schiedsverfahren hat unsere Partei mit der Berliner Konferenz vom 23. Februar d.J. reagiert, an der auch EU-Kommissarin Cecilia Malmström teilgenommen hat. Dort wurde in Aussicht gestellt, dass der Investitionsschutz durch die Einrichtung eines internationalen Handelsgerichtshofs gesichert werden soll, der rechtsstaatlichen Anforderungen genügt: fachkundige, vom Staat bezahlte Richter, Öfentlichkeit des Verfahrens, Berufungsmöglichkeit durch 2. Instanz, klare Defnition der Klagegründe. Bei dieser Konferenz im Februar wurde der Eindruck erweckt, dass bei TTIP der internationale Handelsgerichtshof von Anfang an zur Bedingung gemacht und dann – rückwärts schreitend – bei allen Handelsverträgen der EU der Investitionsschutz vom Schiedsverfahren auf den internationalen Gerichtshof umgestellt werden soll.

(1) Über den Sachverhalt dieses Schreibens wurde Genosse Gabriel bereits am 2. Dezember 2015 informiert.
Vor diesem Hintergrund überrascht das Vorgehen der Kommissarin Malmström. Zunächst lehnte sie – soweit wir informiert sind – beharrlich alle Versuche ab, bei CETA noch nachträglich die Gerichtshofösung zu implementieren. Jetzt aber schlägt sie sogar auch für TTIP ein Schiedsgerichtsverfahren vor, das weitestgehend dem Verfahren in CETA entspricht und in dem ein internationaler Handelsgerichtshof mit keiner Silbe erwähnt wird. Frau Malmström – um es volkstümlich auszudrücken – setzt noch einen drauf, indem die Regelungen auch für Investitionen gelten sollen, die in der Vergangenheit getätigt wurden. Da passt es, dass die Aufzählung so genannter legitimer Maßnahmen des Staates, bei denen er Handlungsfreiraum behalten soll, extrem eng gefasst ist.

Politisch würde dieses Vorgehen bedeuten:
Tritt auch TTIP mit Schiedsgerichtslösung in Kraft, besteht – bei realistischer Sicht der Dinge – keine Chance mehr, das Schiedsgericht durch den internationalen Handelsgerichtshof zu ersetzen, erst recht nicht sukzessive rückwärts schreitend.
Wir würden es begrüßen, wenn du o.a. Gesichtspunkte bei deiner Entscheidung auf dem Bundesparteitag berücksichtigst.

Mit besten genossenschaftlichen Grüßen,
Andrea Rugbarth, Serkan Bicen, Dirk Diedrich, Alf Epstein, Sönke Klages, Dietrich Lemke, Sebastian Mietzner