Ein bisschen Vorratsdatenspeicherung gibt es nicht

Veröffentlicht am 16. Juni 2015

Die SPD versteht sich nicht nur als eine Partei der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch als Bürgerrechtspartei, die Freiheitsrechte bewahrt und verteidigt. Im geltenden Grundsatzprogramm der Partei wird dieses Bekenntnis wie folgt formuliert: „Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sind der Maßstab sozialdemokratischer Innen- und Rechtspolitik. […] Nicht die Verteidigung der Bürger- und Freiheitsrechte, sondern deren Einschränkung bedarf einer Rechtfertigung.“ Angesichts der Pläne zur erneuten Einführung einer Vorratsdatenspeicherung muss die Frage erlaubt sein, ob dieser Anspruch mit dem aktuellen Gesetzesentwurf vereinbar ist. Über 100 Gliederungen der SPD, die Anträge zum bevorstehenden Parteikonvent gegen die Vorratsdatenspeicherung eingereicht haben, sagen Nein.

Alle, die – wie die Demokratische Linke 21 – Nein sagen, argumentieren: Das Instrument der Vorratsdatenspeicherung verkehrt die Unschuldsvermutung ins Gegenteil: Alle Bürgerinnen und Bürger werden ohne Anlass überwacht, da ihre Kommunikationsdaten gespeichert und, bei Bedarf, abgerufen werden. Dieses Prinzip birgt das massive Risiko eines Missbrauchs der in großem Umfang gespeicherten Daten. Neben dieser grundsätzlichen Ablehnung werden weitere inhaltliche Bedenken am Gesetzesentwurf formuliert, so bei der parallelen Verschärfung des Strafrechts durch den Tatenbestand „Datenhehlerei“. Die darin enthaltenen schwammigen Formulierungen werden von den Kritikern als Angriff auf Whistleblower oder Plattformen wie Wikileaks begriffen. Unterstützung erhalten Kritiker nun vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, der in zwei aktuellen Gutachten den Gesetzesentwurf als nicht vereinbar mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zurückweist.

Für den Gesetzesentwurf in der vorliegenden Form spricht nach Meinung einiger Befürworter, dass somit das bisherige unkontrollierte Speichern der Telekommunikationsanbieter und das Abrufen der Daten bei Bedarf endlich klar geregelt werden dürften, z.B. die Höchstspeicherfristen stark eingeschränkt werden. Zwar ist es richtig, dass viele Daten bisher teils sehr lange gespeichert werden. Das aktuelle Gesetz würde an diesem Zustand in Wahrheit aber nichts ändern. Zwar fällt ein Pool von Daten unter die Regelung der Höchstspeicherfrist. Darüber hinaus können die Anbieter die Daten aber speichern wie bisher. Der Eindruck, dass die Vorratsdatenspeicherung Ordnung in ein vorhandenes Speicherchaos bringt, ist also falsch.
Als ein möglicher Kompromiss zwischen parteiinternen Befürwortern und Kritikern wurde eine zeitliche Begrenzung des aktuellen Gesetzesentwurfes ins Spiel gebracht. Heißt: Man probiert die Vorratsdatenspeicherung mal zwei bis drei Jahre aus und evaluiert dann, ob sie denn wirklich bei der Verbrechensbekämpfung hilft. Um einzuschätzen, ob so ein Kompromiss hilft, sollte man sich den Antragstext für den Konvent vieler SPD-Gliederungen anschauen. Darin heißt es: „Die anlasslose und flächendeckende Vorratsdatenspeicherung ist ein undifferenziertes und rechtlich unverhältnismäßiges Überwachungsinstrument, das die Grundrechte in unzumutbarer Art einschränkt und alle Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union unter Generalverdacht stellt.“ Passt das zusammen mit einer zeitlichen Begrenzung der Vorratsdatenspeicherung? Nein. Ein bisschen Vorratsdatenspeicherung gibt es nicht! Sie ist bereits ab dem ersten Tag ihrer Einführung ein Eingriff in die Grundrechte und daher auch grundsätzlich abzulehnen.

Zweitens stellt sich die Frage, wie man denn das Instrument sinnvoll evaluieren sollte. Die meisten Sicherheitsbehörden werden seine Wirksamkeit wahrscheinlich immer bejahen, da jedes zusätzliche Instrument zur Strafverfolgung bessere Ergebnisse liefere. Derzeit hält sogar der Deutsche Richterbund die Vorratsdatenspeicherung für ein „unerlässliches Instrument zur Verbrechensbekämpfung“. Einen wissenschaftlichen Beleg für diese These gibt es nicht. Ganz im Gegenteil: Das Bundesverfassungsgericht erklärte das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2010 für nichtig. In der Folgezeit kamen mehrere Gutachten sowohl des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages als auch anderer namhafter Einrichtungen zu dem Schluss, dass das Instrument nicht dazu beiträgt, die Aufklärungsquote von Straftaten signifikant zu erhöhen. Es ist somit unverständlich, warum wir nun wieder ggf. zwei Jahre das Instrument einführen sollen, um dann erneut wissenschaftlich festzustellen, dass es überflüssig ist.

Warum also sollte die SPD, nachdem auch der Europäische Gerichtshof die entsprechende EU-Richtlinie im vergangenen Jahr kippte, die Vorratsdatenspeicherung mit einem neuen Gesetz vorantreiben oder unterstützen? Sie bringt kaum mehr Sicherheit und auf keinen Fall besseren Datenschutz, dafür aber großen Schaden für die Freiheit. Als Bürgerrechtspartei müsste die Antwort hier klar sein. Eine Entscheidung für die Vorratsdatenspeicherung wäre ein Beleg dafür, dass die SPD nicht die Kraft aufbringt, eine liberale Stimme gegen manche Sicherheitsfetischisten der Union zu erheben. Dabei hatte doch Parteichef Sigmar Gabriel nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag 2013 verkündet: „Die SPD muss dem Liberalismus eine neue Heimat geben.“ Es ist jetzt der Moment zu beweisen, dass die SPD nicht nur im Grundsatzprogramm die richtigen Werte aufschreibt, sondern auch in der Realität eine Bürgerrechtspartei ist, die die Freiheitrechte ernstnimmt und verteidigt. Das geht mit einem klaren NEIN zur Vorratsdatenspeicherung.

Hilde Mattheis ist Mitglied des Deutschen Bundestages und Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21 – Die Linke in der SPD.

 

(Dieser Artikel ist am 15. Juni 2015 als Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau erschienen)