Die Flüchtlingsmigration – ein konjunkturpolitischer Glücksfall

Veröffentlicht am 7. Dezember 2015

von Michael Wendl

Die Flüchtlingsmigration – ein konjunkturpolitischer Glücksfall

1. Die Kontroversen
In der aktuellen Debatte über die wirtschaftlichen Folgen der massenhaften Zuwanderung sehen wir zwei Wahrnehmungen in der ökonomischen Theorie.
Einmal geht es um die Sicht, dass die Zuwanderungen Deutschland einen ökonomischen Nutzen bringen würden, einmal weil sie einer alternden und rückläufigen Bevölkerung neue Arbeitskräfte zuführen würden, was in der mittleren und langen Frist für zusätzliche Beschäftigung, zusätzliche Wertschöpfung und darüber vermittelt zu einer Stabilisierung des Sozialstaats führen würde. Kurzfristig würden die notwendigen Ausgaben für die materielle Versorgung der Flüchtlinge und ihre Qualifikation die stagnierende Konjunktur beleben und als staatliches Konjunkturprogramm wirken. Diese Position wird in der aktuellen Debatte von Marcel Fratzscher und dem DIW formuliert (siehe DIW WB 45-2015, Handelsblatt Nr. 210 vom 30.10.2015)
Die entgegengesetzte Sichtweise wird von Clemens Fuest, H.W. Sinn und dem Ifo-Institut vorgetragen (siehe Battisti u.a. Ifo-Schnelldienst 22- 2015, Handelsblatt Nr.210 ). Hier wird die Zuwanderung so gesehen, dass es nur kurzfristig durch finanzielle Transfers und Investitionen zu einer konjunkturellen Belebung kommen würde, aber in der mittleren und längeren Frist die massive Zuwanderung zu ganz erheblichen fiskalischen Belastungen führen muss. Die kurzfristige Steigerung des Bruttoinlandsprodukts hat in dieser Sicht nur den Charakter eines „Strohfeuers“. Diese Sicht basiert einerseits darauf, dass die Zuwanderung den Sozialstaat in der mittleren und langen Frist mehr an finanziellen Transfers kostet, als sie an zukünftigen Beiträgen und Steuern zusätzlich einbringen kann. Diese These wird mit dem Argument begründet, dass der Sozialstaat von den hohen Einkommen zu den niedrigen Einkommen umverteilt und dass die große Mehrheit der Zuwanderer in der Zukunft mehr finanzielle Transfers erhalten als umgekehrt in das Steuer- und Sozialversicherungssystem einzahlen wird.
Hinter dieser Argumentation steht ein einfaches Modell: die Zuwanderung kostet im Saldo finanziell mehr, als sie durch zusätzliche spätere Wertschöpfung an finanziellen Erträgen für den Steuerstaat und die Sozialversicherungen erzeugen wird. Eine andere Sicht geht davon aus, dass die Ausgaben für Flüchtlinge kein „echtes Konjunkturprogramm sind, weil „das Geld vor allem direkt in den Konsum“ gehe (FAS Nr. 48 vom 29.11.2015). In dieser Meinung fassen sich er ideologische Charakter und die Wirklichkeitsferne des ökonomischen Alltagsverstands treffend zusammen, weil nicht nur die Anstöße aus dem Konsum für die Investitionen übersehen werden, sondern weil nicht gewusst wird, dass die gegenwärtige ökonomische Situation in Deutschland gerade durch einen Mangel an konsumtiver Nachfrage gekennzeichnet ist.
Dieses Modell wirkt aber auf den ersten Blick plausibel und macht deshalb auch die neoklassische Wirtschaftstheorie populär, die das Denken in diesem einfachen Modell theoretisch begründet hat. Diese Sicht ist populär, weil sie dem mikroökonomischen Alltagsbewusstsein der Menschen entspricht. Um es auszusprechen oder zu verstehen, braucht es gerade keine wirtschaftswissenschaftlich fundierten Kenntnisse.

2. Das neoklassische und das keynesianische Modell
Das erste Modell, das in der Regel auf dem wissenschaftlichen Paradigma von Keynes basiert, ist wissenschaftlich erheblich ambitionierter und stimmt daher nicht mit dem wirtschaftlichen Alltagsbewusstsein überein. Hier wird davon ausgegangen, dass die finanziellen Transfers und die zusätzlichen Investitionen für die Flüchtlinge weitere Ausgaben und weitere Investitionen anstoßen. Die finanziellen Transfers führen zu einer Steigerung des Konsums, die Investitionen in den notwendigen Bau neuer Wohnungen bringen sog. Multiplikator- und Akzelerator -Effekte mit sich, was bedeutet, dass eine zusätzliche Wertschöpfung und weitere Investitionen von diesen kurzfristigen zusätzlichen Ausgaben des Staates und später auch der Sozialversicherungen angestoßen werden. Diese Effekte entstehen, weil jede Veränderung einer autonomen Nachfragekomponente direkte Auswirkungen auf die Produktion von Gütern und Dienstleistungen und darüber auf die Einkommen hat. Entsprechende Veränderungen in der konsumtiven Nachfrage schlagen dann in die Nachfrage nach Investitionen um (Akzelerator). Die Größe und die langfristigen Auswirkungen dieser Multiplikator- und Akzelerator-Effekte sind zunächst offen, weil wir weitere Informationen über die Wirkungen dieser zusätzlichen Ausgaben benötigen. Die Größe des Multiplikators wird durch die marginale Konsumneigung bestimmt; je höher die Konsumneigung, desto größer der Multiplikator. Bei niedrigen Transfereinkommen ist die Konsumneigung hoch und die Sparquote entsprechend niedrig.
Beide hier idealtypisch skizzierte Sichtweisen stützen sich auf Modelle: die neoklassische Theorie argumentiert auf der Basis eines zunächst statischen Gleichgewichtsmodells, in dem zusätzliche Ausgaben entweder durch entsprechende Kürzungen an anderer Stelle oder durch zusätzliche Kredite, also zusätzliche Staatsverschuldung finanziert werden müssen. Die Variante der zusätzlichen Verschuldung des Staates wird dabei aus ordnungspolitischen Gründen in der Regel abgelehnt (so auch von Fuest u.a.). Der Zusammenhang von Angebot und Nachfrage wird dabei durch das sog. Saysche Theorem bestimmt. Das Angebot schafft sich über die Einkommen, die bei der Produktion des Angebots entstehen (Löhne und Unternehmergewinn) die entsprechende Nachfrage. Wenn in dieser Gleichgewicht nicht von außen eingegriffen wird, kann es sich im Gleichgewicht reproduzieren, wobei die Größe der Investitionen durch die Ersparnisse bestimmt wird (I = S; Investment gleich Savings). Im Kern ist das ein mikroökonomische Modell, das entweder als Summe der mikroökonomischen Größen in ein makroökonomische Modell aggregiert, oder durch die von Robert Lucas begründete Theorie der rationalen Erwartungen in eine makroökonomische Sicht transformiert wird. Lucas‘ Theorie der rationalen Erwartungen ist nicht konsistent, weil in einer von Unsicherheit gekennzeichneten Ökonomie rationale Erwartungen sehr oft einem Schein von Rationalität verhaftet sind, der wenn ihm insgesamt gefolgt wird zu irrationalen Ergebnissen führt, wie das u.a. mit dem Begriff des Herdentriebs gekennzeichnet wird.
Die keynesianische Theorie basiert dagegen auf einen dynamischen Modell, das einer Wachstumsökonomie entspricht, in der eine steigende effektive Nachfrage zu einem höheren Angebot an Gütern und Dienstleistungen führt (in der wissenschaftlichen Terminologie wird von einem AS-AD- Modell gesprochen (Aggregate Supply, Aggregate Demand). Die Ausgangsgrößen in diesem System werden nicht mikroökonomisch durch das Handeln der wirtschaftlichen Akteure (also durch den Mensch als „homo oeconomicus“), sondern durch makroökonomische Aggregate bestimmt. Dabei wird folgender Zusammenhang rekonstruiert: Das Gesetz der effektiven Nachfrage und der Multiplikator- Effekt stellen das Saysche Theorem vom Kopf auf die Füße. Nicht das Angebot schafft sich seine Nachfrage, sondern die effektive Nachfrage schafft sich das entsprechende Angebot. Das der neoklassischen Theorie zugrundeliegende Gleichgewichtsmodell wurde bereits 1911 durch Joseph A. Schumpeter theoretisch widerlegt, weil er zeigen konnte, dass dieses Gleichgewichtsmodell eine Konstruktion aus dem Kopf des Beobachters ist, die wirkliche Ökonomie dagegen eine dynamische Produktionsökonomie darstellt (Schumpeter 1997; 75ff., Schumpeter 2009 ;1225). Weiter wurde das Gleichgewichtsmodell wissenschaftstheoretisch durch Hans Albert grundlegend in Frage gestellt, der der neoklassischen Gleichgewichtstheorie den Vorwurf des „Modell-Platonismus“ gemacht hatte. Diese Kritik aus den 1960er Jahren (Albert 1963) ist aktuell von Jakob Kapeller aufgegriffen und erweitert worden (Kapeller 2012).
Das Saysche Theorem ist spätestens 1936 durch John M. Keynes (Keynes 2008). Marx hatte bereits lange vorher beide Sichtweisen einer scharfen Kritik unterzogen, aber Marx gehört, anders als Schumpeter und Keynes zur „Unterwelt“ der Ökonomen. Trotz dieser wissenschaftstheoretischen und polit-ökonomischen Kritik haben sich Gleichgewichtsmodell und das Saysches Theorem als Begründung eines Gleichgewichts von Produktion und Nachfrage in der ökonomischen Wissenschaft bis heute, trotz der faktischen Erschütterung dieser Theorie durch die Finanzmarktkrise 2007/2008 gehalten; die erstaunlichen Gründe dafür sind aber ein anderes Thema (siehe dazu Mirowski 2015).
Die zweite strittige Annahme in dieser Kontroverse basiert auf der Umverteilungsfunktion des Sozialstaats. Hier müssen wir zwischen staatlichen Transfers, wie Kindergeld, Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II (Hartz IV) einerseits und Leistungen der Sozialversicherung unterscheiden. Staatliche Transfers werden aus Steuern finanziert, hier haben wir bestimmte Umverteilungseffekte zugunsten der Transfereinkommen, die aber kompliziert sind, weil es neben den direkten Steuern noch die indirekten Steuern gibt, an deren Aufkommen auch die Bezieher von niedrigen Einkommen und von Transfereinkommen beteiligt sind. Die Sozialversicherung dagegen wird ganz überwiegend aus den sozialversicherungspflichtigen Arbeitseinkommen finanziert (die sog. Arbeitgeberbeiträge zählen sowohl in der einzelwirtschaftlichen, wie in der volkswirtschaftlichen Buchführung, also den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen zu den Arbeitsentgelten). Für die Leistungen der Sozialversicherung sind weitgehend die Höhe der Arbeitsentgelte und der Grad der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung maßgeblich. In diesem System ist die interne Umverteilung relativ gering. Faktisch ist es eine Umverteilung zwischen Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen, wobei die Leistungsempfänger vorher Beiträge geleistet haben müssen. Davon auszugehen, dass die Kosten für die Leistungen an die Zuwanderer anderen Leistungsempfängern abgezogen werden müssen, ist eine heroische Abstraktion von den wirklichen ökonomischen Zusammenhängen, die nur möglich ist, wenn in diesem statischen Gleichgewichtsmodell gedacht wird.
Die dritte Kontroverse dreht sich um die Rolle der Löhne für die gesamte Wertschöpfung. In der neoklassischen Theorie entspricht der Lohn der sog. Grenzproduktivität der Arbeit, was heißen soll, dass mit dem Lohn die geleistete Arbeit bezahlt wird. In der Theorie von Keynes wird an der klassischen Lehre, dass alles durch Arbeit, unterstützt durch Technik, erzeugt wird (Keynes 2008; 180). Der Beitrag der Arbeitskräfte zur Wertschöpfung wird hier nicht durch die Größe des Lohns begrenzt, sondern liegt in der gesamtwirtschaftlichen Perspektive eindeutig darüber. Es kommt daher bei der Entwicklung der Wertschöpfung der Gesellschaft auf den Grad der Beschäftigung an. Eine höhere Beschäftigung führt zu einer höheren Wertschöpfung.
Aus der Sicht von Marx produzieren die Beschäftigten über ihren Lohn hinaus ein Mehrprodukt, das neben dem Unternehmerkonsum für weitere Investitionen zur Verfügung steht (siehe Marx 1972; 214ff.). Auch aus dieser Perspektive gibt es keinen Hinweis für ein Gleichgewichtsmodell der kapitalistischen Entwicklung, ganz im Gegenteil. Marx unterscheidet bei seiner Analyse des Gesamtreproduktionsprozess des Kapitals zwischen der sog. einfachen Reproduktion des Kapitals und der erweiterten Reproduktion des Kapitals. Die einfache Reproduktion fungiert dabei nur als abstraktes Modell für den Zusammenhang zwischen der Konsumgüter- und Investitionsgüterindustrie und darf mit den wirklichen ökonomischen Zusammenhängen nicht verwechselt werden (das sind die sog. Reproduktionsschemata, siehe Marx 1975a; 391ff.). Entgegen der späteren neoklassischen Ökonomie ist Marx der methodische Status eines Modells, hier der einfachen Reproduktion des Kapitals als Abstraktion von der wirklichen Ökonomie bewusst. Marx erklärt auch, warum diese von ihm als „Vulgärökonomie“ gekennzeichnete Sicht als ökonomische „Weltanschauung (…) so tief im Alltagsbewusstsein verwurzelt ist“ (Mirowski 2015; 36), weil er zeigen kann, dass sich die ökonomischen Formen der kapitalistischen Ökonomie verdreht oder mystifiziert in den Bewusstseinsformen der Wirtschaftsakteure reflektieren und in diesen verrückten Formen die Voraussetzungen bilden für ihre „didaktische, mehr oder minder doktrinäre Übersetzung der Alltagsvorstellungen“ durch die Vulgärökonomie, die sich bemüht, in diese „Alltagsvorstellungen eine gewisse verständige Ordnung zu bringen“ (Marx 1975b; 838f.).
Die Integration von Zuwanderung in die Beschäftigung führt aus diesen Perspektiven der Wertschöpfung durch Arbeit zu mehr Wachstum und in der Folge durch die Einkommensschöpfung auch zu mehr Wohlstand. Entscheidend für die Entwicklung der Beschäftigung ist die Ausweitung der effektive Nachfrage.

3. Die Theorie der Staatsausgaben
Eine makroökonomisch begründete Theorie der Staatsausgaben ist erst in den 1920er Jahren entstanden. Sie geht nicht auf Keynes, sondern auf den deutsch-amerikanischen Ökonomen Gerhard Colm und dessen noch in Deutschland verfasster Habilitationsschrift ‚Theorie der Staatsausgaben‘ (1927) zurück. Colm unterscheidet zwischen zwei wirtschaftlichen Sektoren in einer kapitalistischen Ökonomie, einem privat-kapitalistischen Sektor und dem Sektor der öffentlichen Wirtschaft. Daneben gibt es noch die staatlichen Budgets oder Haushalte, deren Ausgaben ebenfalls eine wichtige Funktion für den Kreislauf der Gesamtwirtschaft haben. Die öffentliche Wirtschaft hat die Güter und Dienstleistungen bereit zu stellen, die der gesamten Bevölkerung zur Verfügung stehen sollen, weil es eine elementare Nachfrage danach gibt, aber in großen Teilen der Bevölkerung keine entsprechend zahlungsfähige Nachfrage (Hoppenstedt 1997). In der Volkswirtschaftslehre wird dafür der Begriff der öffentlichen Güter verwendet. Sie können durch den Sektor der öffentlichen Wirtschaft oder durch die Ausgaben der Gebietskörperschaften und der Sozialversicherung bereit gestellt werden. Den staatlichen Budgets kommt in diesem Konzept die Funktion eines Lückenfüllers zu, der durch seine Ausgaben dafür sorgen soll, dass Vollbeschäftigung hergestellt werden kann. Die effektive Nachfrage wird durch zusätzliche öffentliche Ausgaben so erhöht, dass Vollbeschäftigung möglich wird. Das bedeutet auch, dass die nachgefragten Arbeitskräfte entsprechend qualifiziert werden. Die Finanzierung dieser Ausgaben besteht dabei aus Steuern und Krediten, die durch die Kapitalmärkte und die Notenbank zur Verfügung gestellt werden können. In verschiedenen Ländern ist dafür zu großen Teilen die Notenbank zuständig, in der Eurozone hat der deutsche Einfluss bei der Konstitution der Währungsunion dazu geführt, dass die direkte Staatsfinanzierung durch die EZB als nicht zulässig gilt.
Die öffentlichen Ausgaben sollen nach dieser von Colm erstmals entwickelten Theorie der Staatsausgaben gezielt für die Finanzierung der notwendigen materiellen Infrastruktur der Gesellschaft und für die Qualifizierung der Arbeitskräfte ausgegeben werden. Das Steuersystem hat dabei die Funktion einer gezielten Umverteilung zwischen den sozialen Klassen zugunsten der niedrigen Einkommen. Im Rahmen des „New Deal“ hat sich dieses Konzept schrittweise zuerst in den USA durchgesetzt und wurde danach durch die internationale Verbreitung einer modifizierten Fassung der keynesianischen Theorie (das sog. IS-LM-Modell der „neoklassischen Synthese“, das dem Modell der antizyklischen Globalsteuerung zugrunde liegt) auch in Westeuropa populär und anzuwenden versucht.

4. Die Finanzierung zusätzlicher Staatsausgaben
Wenn aus dieser Sicht die ökonomischen Effekte der Flüchtlingsbewegung erfasst und bilanziert werden, so kommen wir zu einer völlig anderen Sicht als der von Fuest und Sinn. Die Integration der Flüchtlinge in die deutsche Gesellschaft und in den deutschen Arbeitsmarkt hat deutlich positive Multiplikatoreffekte, weil durch die unmittelbar notwendigen Ausgaben für Wohnungen und Qualifizierungen weitere Ausgaben und Investitionen angestoßen werden, die dem gegenwärtig schwachen Wirtschaftswachstum in Deutschland zusätzliche Impulse geben werden. Das Gerede von bloßen Strohfeuereffekten eines Konjunkturprogramms ist daher theoretisch nicht begründet. Es handelt sich dabei um ideologisch motivierte Abwehrreflexe. In der unmittelbaren Folge der Finanzmarktkrise 2007/2008 waren fiskalpolitische Konjunkturprogramme in den USA, aber auch in Deutschland durchaus erfolgreich und haben eine Vertiefung der Krise verhindern können (Horn 2016).
Von besonderer Bedeutung ist dabei die Finanzierung dieser Ausgaben, die im Rahmen des europäischen Fiskalpakts im Falle Deutschlands durch Kreditaufnahme erfolgen kann und kurzfristig auch erfolgen sollte. Eine darüber hinaus gehende Besteuerung hoher Vermögen und Erbschaften ist davon unabhängig sinnvoll, aber für die Finanzierung der unmittelbaren Ausgaben der Flüchtlingsmigration ist sie nicht notwendig. Aus linker Sicht, die sich gelegentlich auf die Fragmente sozialistischer Wirtschaftstheorie zu stützen versucht, wird für eine Finanzierung durch Steuererhöhungen für hohe Einkommen und Vermögen plädiert. Das liegt auch daran, dass aus dieser Sicht der Kredit- und dadurch Geldschöpfung mit Misstrauen und Unverständnis begegnet wird.
Dass mittel- und langfristig in Deutschland eine Zuwanderung von Arbeitskräften notwendig ist, wird auch aus neoklassischer Sicht nicht bestritten, auch wenn diese Argumentation aktuell zu relativieren versucht wird.
Bei der Finanzierung der unmittelbar notwendigen kurzfristigen Ausgaben für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge, aber auch von Investitionen in Wohnungsbau und Bildungssystem müssen wir uns mit einer unzureichenden und regional unterschiedlichen Finanzausstattung der Kommunen in Bundesländern mit ebenfalls unterschiedlichen Steueraufkommen auseinandersetzen, das durch eine ergänzende Finanzierung aus dem Bundeshaushalt angegangen gelöst werden muss. Die Auseinandersetzung mit der neoklassischen, genauer der ordoliberalen Doktrin der „schwarzen Null“ steht daher auf der Tagesordnung.

Literatur:
Hans Albert, Modell-Platonismus. Der neoklassische Stil des ökonomischen Denkens in kritischer Beleuchtung, in: Ernst Topitsch (Hg). Logik der Sozialwissenschaften
Michele Battisti u.a., Einwanderung: Welchen Nutzen hat die einheimische Bevölkerung? In: Ifo-Schnelldienst Nr. 22-2015
Marcel Fratzscher, Simon Junker, Integration von Flüchtlingen – ein langfristig lohnende Investition, in: DIW-Wochenbericht 45-2015
Gerhard Hoppenstedt, Gerhard Colm, Leben und Werk (1897-1968), 1997
Gustav A. Horn, Wirtschaftliche Krisen bewältigen, 2016
Jakob Kapeller, Modell-Platonismus in der Ökonomie, 2012
John M. Keynes, Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes (1936), 2008
Karl Marx, Das Kapital Bd.1 (1972), Band 2 (1975a), Band 3 (1975b) in: Marx-Engels-Werke Bd. 23 – 25
Philip Mirowski, Untote leben länger. Warum der Neoliberalismus nach der Krise noch stärker ist, 2015
Lisa Nienhaus, Die Feldbetten-Konjunktur, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 29.11.2015
Joseph A. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (1912), 1997
Joseph A. Schumpeter, Geschichte der ökonomischen Analyse, Band II, (1965), 2009