Das Urteil zur Erbschaftsteuer – eine Chance zu mehr Steuergerechtigkeit

Veröffentlicht am 19. Dezember 2014

Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Erbschaftssteuer kommentiert und bewertet Cansel Kiziltepe MdB, Mitglied im Finanzausschuss, Berichterstatterin für das Thema Erbschaftssteuer:

cansel1Die Spannung im politischen Berlin der letzten Wochen war geradezu greifbar. PolitikerInnen und BeobachterInnen erwarteten das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaft- und Schenkungsteuer. Bereits im Juli dieses Jahres haben sich die Richter in der mündlichen Verhandlung viel Zeit genommen, um verschiedene Sichtweisen anzuhören. Konkret ging es im Verfahren um die Frage, inwiefern Betriebsvermögen privilegiert gegenüber anderen Vermögenswerten vererbt bzw. verschenkt werden darf.

Eine aktuelle Sonderauswertung des Statistischen Bundesamts zeigt den Handlungsbedarf: Von 2009 bis 2013 wurden 105 Mrd. Euro Betriebsvermögen steuerfrei übertragen, davon alleine 90 Mrd. Euro durch Schenkungen. Die Erbschaftsteuer trug im Jahr 2013 mit einem Volumen von 4,7 Mrd. Euro zur Finanzierung des Gemeinwesens bei. Das sind zwar ca. 0,75% des Steueraufkommens, entspricht aber mit 0,05% einem geradezu lächerlich geringen Anteil des privaten Nettovermögens. Das Aufkommen fließt direkt in die Länderhaushalte und hat dort als eine der wenigen Steuern, die den Bundesländern komplett zustehen, eine große Bedeutung.

Seit Mittwoch wissen wir nun genaueres: Die Privilegierung des Betriebsvermögens geht zu weit und ist in Teilen verfassungswidrig. Bis zum 30. Juni 2016 muss der Gesetzgeber nun die angemahnten Regelungen reformieren. Sollte diese Frist verstreichen, entsteht eine unklare Rechtslage. Die für verfassungswidrig erklärten Normen gelten bis zu einer Neuregelung weiter, was aber explizit keinen Vertrauensschutz für die bisher geltenden Regeln bedeutet. Vielmehr kann der Gesetzgeber eine Neuregelung beschließen, die rückwirkend bis zur gestrigen Urteilsverkündung reicht.

Das Gericht hat in seinem Urteil deutlich gemacht, dass im Prinzip nichts gegen eine Privilegierung von Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer steht, weil dieses produktive Kapital eben auch für Arbeitsplätze sorgt. Die SPD hat sich auch immer dafür eingesetzt, dass durch die Steuerbelastung keine Arbeitsplätze bei der Betriebsübergabe gefährdet werden.

Die derzeitigen Verschonungsregeln gehen den Richtern aber zu weit. Bisher ist es de facto möglich Betriebsvermögen steuerfrei zu vererben oder zu verschenken. Bei Betrieben mit mehr als 20 Mitarbeitern muss dafür die Lohnsumme über einen bestimmten Zeitraum ein bestimmtes Maß erreichen oder mit anderen Worten: Arbeitsplätze dürfen nicht abgebaut werden. Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten sind von dieser Voraussetzung ausgenommen, stellen aber die Mehrheit der Übertragungsfälle dar. Das Gericht hat hier klar darauf hingewiesen, dass aus der Ausnahme zur Sicherung der Arbeitsplätze in der Realität die Regel geworden ist.

Gleichzeitig konnte neben dem eigentlichen Produktivvermögen in einem Betrieb bis zu 49% Verwaltungsvermögen vererbt werden. Dieses sonstige Vermögen in einem Betrieb bleibt steuerfrei, während dieselben Vermögenswerte außerhalb eines Betriebs besteuert werden würden. Auch hier sieht das Gericht den Gleichheitsgrundsatz verletzt.

In einem bemerkenswerten Sondervotum sind drei der acht Richter auf die Verteilungswirkung der Erbschaftsteuer eingegangen. Sie haben deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Erbschaftsteuer nicht nur eine von vielen Steuereinnahmen ist, sondern explizit der Vermögenskonzentration entgegenwirken soll. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, jede Forderung nach einem gänzlichen Verzicht auf die Steuer zurückzuweisen.

Jetzt müssen Bund und Länder ihre Schlüsse aus dem Urteil ziehen. Die Chance auf ein Ende der Überprivilegierung von großen Vermögen ist aber da – und damit auch die Chance auf ein Mehr an Steuergerechtigkeit.