Anmerkungen zur Verkümmerung der Berliner Parteiendemokratie: Parteitagsfieber: Der Konkurrenzkampf der Juniorpartner

Veröffentlicht am 8. Dezember 2015

von Dieter Spöri

Anmerkungen zur Verkümmerung der Berliner Parteiendemokratie: Parteitagsfieber: Der Konkurrenzkampf der Juniorpartner

Nichts macht den schleichenden Substanzverlust der Berliner Parteiendemokratie so deutlich wie die aktuellen Vorspiele für die nächste Bundestagswahl 2017. Unabhängig von der offiziellen Tagesordnung parteipolitischer Spitzentreffen steigt jetzt vor Weihnachten das bundespolitische Parteitagsfieber wegen der unterschwellig bohrenden Frage, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel 2017 die SPD als ihren bisherigen Juniorpartner austauschen will und dann statt Schwarz-Rot das schon jahrelang von vielen medial ersehnte angebliche „Innovationsbündnis“ Schwarz- Grün die Berliner Republik zu neuen Ufern führt.

Angela Merkels künftiger Juniorpartner
Der kommende Bundestagswahlkampf wird sich nämlich diesmal ganz offen nicht mehr um die demokratische Hauptfrage drehen, wer denn Deutschland mit welchen klaren programmatischen Konturen in die Zukunft führen wird. Nein, diesmal geht es nur noch um den verkümmerten demokratischen Wettbewerb, wer Angela Merkel in der nächsten Legislaturperiode beim Regieren assistieren darf – also um die Rolle des Juniorpartners. Die Parteitage zum nahen Jahreswechsel sind dabei eine zentrale Plattform für den Diskurs großer gesellschaftlicher Herausforderungen wie Flüchtlingsdrama oder internationaler Terror, aber auch ein willkommener Laufsteg für die absehbaren oder schon feststehenden Akteure(innen) des nächsten Bundestagswahlkampfs. Die Grünen haben inhaltlich und koalitionspolitisch schon auf ihrer jüngsten Bundesdelegiertenkonferenz im November in Halle trotz Sonnenblumen unverblümt signalisiert, dass für sie Schwarz-Grün im Bund das nächste Mal dran sei. Cem Özdemir gebärdete sich geradezu als Inkarnation dieser breiten Sehnsucht, deren Erfüllung schon nach der letzten Bundestagswahl 2013 zum Greifen nahe war. Deshalb wurde bei allen Parteitagsbeschlüssen peinlich darauf geachtet, dass es zu keinerlei ernsthaften programmatischen Unvereinbarkeiten mit der Union und vor allem mit der nach Auffassung von Forbes „ mächtigsten Frau der Welt“, Angela Merkel, kommen kann.
Demgegenüber tun sich die Parteien der regierenden Schwarz-Roten Koalition auf ihren Parteitagen aktuell stilistisch wohl etwas schwerer mit solch eindeutigen Koalitionspräferenzen. Dies galt für die CSU Horst Seehofers auf ihrem zu den Grünen zeitgleichen Parteitag in München genauso wie es für SPD und CDU noch vor Weihnachten auf ihren Parteitagen in Berlin und Karlsruhe gilt. Angesichts der schweren außen-und innenpolitischen Prüfungen wäre es für die Regierungsparteien völlig unseriös, jetzt auf öffentlicher Bühne eine Debatte um künftige Koalitionsoptionen loszutreten, statt einfach solide zu arbeiten. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten in einer so ernsten Lage, dass sich die Regierungsparteien voll auf die Beantwortung ihrer Fragen und Ängste konzentrieren. Für CDU und CSU ist die koalitionsstrategische Ausgangssituation für 2017 ohnehin komfortabel, weil man im Bund weiter mindestens zwei Koalitionsoptionen hat, nämlich SPD und Grüne. Die Bundeskanzlerin wird gerade nach der breiten Kritik der letzten Monate in Karlsruhe von ihrer Partei frenetisch mit stehenden Ovationen nach der Devise „Angela forever“ gefeiert werden. Denn die von ihrem Erfolg abhängigen Funktions-und Mandatsträger auf allen demokratischen Ebenen können sich aus existenziellem Eigeninteresse mit Blick auf die nächste Bundestagswahl und die vorgeschalteten Regionalwahlen gar nichts anderes leisten.

Die selbstgebaute Falle der SPD
Demgegenüber hat die SPD inzwischen für 2017 nur noch die etwas heroische Hoffnung auf eine vermeintlich verbliebene Koalitionsoption, nämlich die Fortsetzung der schwarz-roten Formation. In Wahrheit ist die CDU aber schon längst entschlossen, nach einem erfolgreichen Testlauf des schwarz- grünen Modells im wirtschaftsstarken Flächenland Hessen, diese neue Farbenlehre 2017 auch im Bund einzuführen. Schon auf dem Kölner CDU- Bundesparteitag im Dezember 2014 hatte ja Bundeskanzlerin Angela Merkel mit viel Herzblut geschildert, wie sehr sie sich eigentlich schon 2013 nach der letzten Bundestagswahl Schwarz- Grün im Bund gewünscht habe. Wie konnte es zu dieser für die deutsche Sozialdemokratie verheerenden strategischen Sackgasse kommen? Strategische Alternativen, um ein solches, die Parteibasis und die verbliebene Restwählerschaft lähmendes Dilemma zu vermeiden, hat es gegeben, sind aber leichtfertig verpasst worden:
Man hätte im letzten Bundestagswahlkampf 2013 zumindest die Prüfoption für eine Koalitionsmehrheit unter Einschluss der Linken auf Bundesebene offen halten müssen. Es bleibt in diesem Zusammenhang das logische Mysterium des Schachspielers und SPD- Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, wieso er den Eintritt in eine Große Koalition für sich persönlich ablehnte, gleichzeitig aber nicht einmal mit einer solchen offenen Prüfoption die Kanzlerschaft Angela Merkels im Wahlkampf durch eine andere Mehrheitsvariante zumindest infrage stellte. Natürlich hätte eine bundespolitisch offene Prüfoption der SPD für die Linke im Rahmen einer rot-rot-grünen Koalition zu einer großen konfliktreichen Wahlkampfdebatte und sicher auch einigen parteiinternen Diskussionen geführt. Der Bundestagswahlkampf wäre aber weit leidenschaftlicher und kontroverser geführt worden, was der Mobilisierung der SPD per Saldo eher genutzt hätte. Stattdessen wurde mit der koalitionspolitischen Tabuisierung der Linken ein Wahlkampf geführt, in dem der SPD-Kandidat Peer Steinbrück von vornherein keinerlei Chance auf die Kanzlerschaft hatte. Dies obwohl das Ergebnis am Wahlabend zeigte, dass eine Mehrheit jenseits von Merkel nicht undenkbar war.
Aber die SPD hätte auch nach ihrer nochmaligen Niederlage am Wahlabend 2013 in Würde und staatspolitischer Verantwortung erklären können, dass eine funktionsfähige Demokratie eine starke Opposition braucht. Die Grünen hätten sich wohl in dieser veränderten Lage einer schwarz- grünen Regierung nicht entzogen. Die SPD hat damit die Chance verpasst, sich als starke Oppositionspartei im parlamentarischen Diskurs bis auf Augenhöhe mit der Union zu profilieren und programmatisch zu regenerieren. Die aktuelle Opposition im Bund dagegen ist wegen der Wartestellung der Grünen auf ihren Regierungseintritt 2017 weitgehend auf die Linke reduziert, die diese Aufgabe rein kapazitätsmäßig und als koalitionspolitischer „outlaw“ der Bundespolitik nicht hinreichend ausfüllen kann.
Diese strategischen Alternativen wurden von der SPD-Führung gezielt übergangen. Sigmar Gabriel als Parteivorsitzender und Andrea Nahles als Generalsekretärin begründeten der zunächst widerspenstigen Parteibasis die angebliche Notwendigkeit einer erneuten schwarz- roten Koalition erfolgreich mit den zentralen Errungenschaften des Koalitionsvertrags, wie etwa dem gesetzlichen Mindestlohn, der sicherlich ein wichtiger Fortschritt ist. Die SPD hätte den Mindestlohn in einer wirkungsvollen Gerechtigkeitsdebatte aber auch in der Oppositionsrolle erfolgreich durchsetzen können. Heute werden übrigens der gesetzliche Mindestlohn und andere Leistungen sozialdemokratisch geführter Ressorts in der Wählerschaft genauso Angela Merkel und der Union gutgeschrieben. Anders sind die bundespolitischen Umfragetrends nicht erklärbar.

Wagt Sigmar Gabriel den Befreiungsschlag?
Die unausweichliche strategische Sackgasse am Ende der Wegstrecke einer erneuten Großen Koalition nach der Bundestagswahl 2013 war schon am ersten Tag ihres Bestehens vorhersehbar und führte die SPD mit geradezu mathematischer Logik in das Dilemma, dass sie heute für 2017 nur noch eine sehr heroische schwarze Koalitionshoffnung hat. Denn man kann nicht im Ernst annehmen, dass sich die Grünen dieses Mal die breite gesellschaftliche Anerkennung, ja den medialen Erregungszustand um ihre Rolle als Innovationstreiber einer neuen bundespolitischen Farbenlehre, nämlich Schwarz-Grün, noch einmal selbst vermasseln werden. Dazu ist inzwischen die innerparteiliche Tendenz zur historischen Folgerichtigkeit der schwarz- grünen Bündnislogik zu eindeutig. Dass gegenüber dieser verlockenden Perspektive etwa Rot-Rot-Grün auf Bundesebene für die grüne Partei noch irgendwie attraktiv wäre, ist fernab jeglicher Realität. Und selbst ein Wiedereinzug der FDP in den Bundestag könnte daran wohl nichts ändern, weil die Liberalen 2017 wegen der Veränderung der Parteienstruktur nicht mehr wie früher das ausreichende Gewicht als Mehrheitsbeschaffer auf die Waage bringen werden.
Der nächste Bundestagswahlkampf könnte diesmal wohl ganz offen zu einem einzigen Casting für den geeigneten Juniorpartner Angela Merkels werden. Sigmar Gabriel sitzt dann mit der gesamten Bundes-SPD in einer selbstgebauten Strategiefalle. Er wird zwar im nächsten Jahr unbestritten zum Kanzlerkandidaten der SPD nominiert, ist aber um diese Ehre wahrlich nicht zu beneiden. Der amtierende Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister könnte zwar seine Partei noch aus dieser schwierigen Situation herausführen, wenn er mit einer seriösen und staatspolitisch verantwortungsvollen Begründung die Fortsetzung der Großen Koalition von vornherein ausschließt und damit offensiv die Bereitschaft zur Übernahme der Rolle des künftigen Oppositionsführers signalisiert. Die Chance, dass er diesen Befreiungsschlag wagt, ist aber eher gering, weil die Mehrheit der SPD-Führung immer noch der letzten illusorischen Hoffnung anhängt, die SPD könnte von der Union doch noch weiter als erfahrener und staatstragender Juniorpartner präferiert werden, weil die Zeiten schwierig sind.

Verkümmerung der Berliner Parteiendemokratie
Wagt Gabriel zur Vermeidung dieses würdelosen Wettbewerbs um die Rolle des Juniorpartners von Angela Merkel nicht den zur Oppositionsrolle bereiten Befreiungsschlag, dann droht der nächste Bundestagswahlkampf zu einer langfristigen Verkümmerung der Berliner Parteiendemokratie zu führen: Die Union wird mit Angela Merkel ihr bundespolitisches Monopol als Kanzler(innen)partei zementieren. Es geht dann auch langfristig nicht mehr um die demokratische Hauptfrage, wer mit welchem Kurs Deutschland in die Zukunft führt, sondern um einen Wettbewerb der Mehrheitsbeschaffer als Juniorpartner.Denn die SPD könnte bei weiterem strategischem Kleinmut noch einmal entscheidend geschwächt werden und endgültig ihre Rolle als bundespolitische Volkspartei verlieren.Im Gegensatz zu den letzten Jahrzehnten würde im Parteiensystem der Berliner Republik künftig die Balance einer wechselseitig möglichen Ablösung zwischen zwei Volksparteien als potentiellen Kanzler(innen)parteien zerstört.Die Folge wäre ein asymmetrisches parlamentarisches Demokratiemodell, in dem nur noch die Rolle des Juniorpartners der Union unterschiedlich besetzt werden kann. Wobei dafür dann SPD, Grüne und vielleicht mittelfristig auch einmal wieder eine „comeback“-FDP als reine Funktionsparteien zur Auswahl stünden.Neben der koalitionspolitisch bisher isolierten Linken könnte auf der rechten Seite die AfD den koalitionspolitisch neutralisierten Teil des Parlaments signifikant ausdehnen und eine alternative Mehrheitsbildung jenseits der Union völlig unmöglich machen. Vitale Demokratie lebt aber vom Wechsel.

Dieser Text erschien am 3.Dezember auf dem Blog der Republik
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