CETA: Verfahren ist nicht wichtiger als Inhalte

Veröffentlicht am 5. April 2016

von Hilde Mattheis

In der vergangenen Woche ist die Diskussion zum Handelsabkommen CETA neu aufgeflammt. Dabei geht es derzeit weniger darum, was in dem Abkommen steht, sondern wie abgestimmt werden soll. Das Wirtschaftsministerium schrieb nun, dass CETA vorläufig in Kraft treten kann, wenn der Rat und das Europäische Parlament zugestimmt haben. Danach würden die nationalen Parlamente abstimmen, um CETA endgültig zu verabschieden oder zurückzuweisen.

Laut Pressemeldungen gibt es jetzt auch parteiintern Diskussion, was ein vorläufiges Inkrafttreten bedeutet. Würden die besonders umstrittenen Investorenschutzregelungen bereits gelten, bevor ein nationales Parlament die Hand gehoben hat? Ist diese vorläufige Anwendung von CETA überhaupt möglich angesichts eines politisch zurecht höchst umstrittenen Handelsabkommens?

Zur Beantwortung dieser Fragen müssen wir folgendes feststellen:

  1. Es muss klar sein, dass es sich bei CETA um ein gemischtes Abkommen handelt und damit auch alle nationalen Parlamente darüber abstimmen müssen. Wenn ein Parlament seine Zustimmung verweigert, ist CETA gescheitert. Diese parlamentarische Behandlung muss gründlich und ohne Zeitdruck erfolgen, da es sich um ein äußerst komplexes Abkommen handelt, welches die Zuständigkeitsbereiche von vielen Ausschüssen berührt.
  2. Der Rat der EU, genauer gesagt der Handelsministerrat fällt seinen Beschluss über Handelsabkommen einstimmig. Hebt nur einE MinisterIn nicht seine/ihre Hand, ist das Abkommen gescheitert. Da der Rat wahrscheinlich vor dem Parlament abstimmt, müssen wir darauf dringen, dass vor einer solchen Entscheidung im Rat ein Beschluss der Partei herbeigeführt wird – so wie wir das beim Konvent und noch einmal auf dem Bundesparteitag im Dezember 2015 gefordert haben!
  3. Die SPD hat sich immer für eine Stärkung der europäischen Demokratie und dabei insbesondere für eine Stärkung des Europäischen Parlaments als einziges direkt von den BürgerInnen gewähltes Gremium auf europäischer Ebene eingesetzt. 2009 haben die Mitgliedsstaaten mit Zustimmung und Unterstützung der SPD die Handelspolitik vergemeinschaftet, d.h. diese Kompetenz an die EU-Institutionen abgetreten. Wir müssen nun das Vertrauen in die professionelle Arbeit des Europäischen Parlaments, vor allem in die Arbeit der europäischen SozialdemokratInnen und SozialistInnen haben, die uns alle dort vertreten. Ohne ihre Zustimmung wäre eine vorläufige Anwendung von CETA sowieso vom Tisch.
  4. Rechtlich gesehen ist es nicht neu, dass ein Handelsabkommen bereits vorläufig in Kraft tritt, bevor alle 28 Parlamente der Mitgliedsstaaten ihr OK gegeben haben. Dieses Verfahren wurde bereits bei zahlreichen früheren Handelsabkommen, beispielsweise mit Kolumbien und Peru angewandt. Angesichts der politischen Brisanz von CETA (und TTIP) ist es politisch klüger, in diesem Fall die endgültige Abstimmung aller Parlamente – europäisch wie nationalstaatlich – abzuwarten, bevor klar ist, ob die EU diesem Abkommen zustimmt oder es ablehnt. Dies darf nicht als Misstrauensvotum gegen das Europäische Parlament gewertet werden, sondern würde den Bürgerinnen und Bürgern klar machen, dass ihre massenhaft geäußerte Kritik von den Abgeordneten aller Ebenen sehr ernst genommen wird. Das grassierende Misstrauen in die europäische Demokratie und das politische System insgesamt schwächen wir nicht dadurch, dass wir den KritikerInnen nun wieder Futter geben, dass wichtige Entscheidungen über ihren Köpfen hinweg entschieden werden.
  5. Die wichtigste Auseinandersetzung, die wir in den kommenden Monaten zu führen haben, ist aber die über die INHALTE dieses Abkommens. Dazu hat die SPD 14 rote Linien formuliert. Diese Punkte sind einzuhalten, wenn es eine Zustimmung der Partei geben soll. Wir werden CETA auf Herz und Nieren prüfen, ob diese Punkte eingehalten wurden. Die bisher vorgeschlagenen Kompromisslinien zu den reformierten Investor-Staat-Schiedsgerichten reichen dabei nicht aus. Genauso müssen andere wichtige Punkte wie der Schutz öffentlicher Dienstleistungen, die fest Verankerung der ILO-Kernarbeitsnormen, das Auflösen sog. regulatorischer Kooperation usw. umgesetzt werden. Wenn diese Punkte nicht erfüllt werden, muss die Antwort klar sein: Ablehnung im Europäischen Parlament und im Bundestag von der SPD!