Kein „Weiter so“ in einer Großen Koalition! Die SPD muss klar erkennbar sein!

Veröffentlicht am 16. Februar 2018


Kein „Weiter so“ in einer Großen Koalition!

Die SPD muss klar erkennbar sein!

Bei der Bundestagswahl hat die SPD ein katastrophales Ergebnis von nur 20,5 % eingefahren, insgesamt haben die Regierungsparteien seit den letzten vier Jahren etwa 14% Zustimmung eingebüßt. Mit 9,5 Millionen Wählerinnen und Wählern hat die SPD damit rund die Hälfte ihrer WählerInnen gegenüber 2002 eingebüßt, als sie das letzte Mal knapp stärkste politische Kraft im Land war. Seitdem verliert die Partei beständig an Boden, mit der Ausnahme von 2013, wo sie sich von einem sehr schlechten Ergebnis von 23% auf 25% erholen konnte.

Die SPD hat daraus am 24. September sehr schnell einen Schluss gezogen: Die bisher verfolgte Politik innerhalb der Großen Koalition kam bei den Wählerinnen und Wählern nicht an. Die Botschaft aus der Bundestagswahl 2017 muss lauten: Eine Politik des „Weiter so!“ darf es nicht mehr geben, da die Menschen in Deutschland dem überdrüssig sind. Der Wunsch nach einer politischen Alternative hat viele Wählerinnen und Wähler in die Arme der Rechtspopulisten getrieben. Die Umfragewerte im Frühjahr 2017 machten aber gleichzeitig klar, dass sich viele Menschen einen starken, linken Gegenpol zu den Konservativen wünschen, eine SPD, die die soziale Schieflage im Land angeht. Damit muss uns klar sein: Wir haben als SPD die Möglichkeit, stärkste politische Kraft im Land zu werden, aber nur wenn wir nicht das sozialdemokratische Anhängsel der CDU/CSU darstellen.

In anderen europäischen Ländern konnten wir bereits beobachten, wie schwierig die Situation für die Sozialdemokratie ist, wenn sie nicht klar unterscheidbar ist. In einigen Ländern ist sie im niedrigen einstelligen Bereich angekommen, so in den Niederlanden. In Polen ist die Sozialdemokratie gar nicht mehr im Parlament vertreten. Natürlich weisen die Parteien- und Wahlsysteme in jedem Land ihre Eigenheiten und Spezifika auf, doch ein genereller Trend macht sich bei so vielen verlorenen Wahlen doch aus: Es geht inzwischen darum, ob die sozialdemokratischen Parteien im 21. Jahrhundert noch überleben und als eine gestaltende, progressive Kraft in Europa auftreten. Die Ausnahmen dieses Abwärtstrends sind derzeit Portugal und das Vereinigte Königreich. In Ersterem ist die dortige sozialistische Partei in einer von linken Parteien gestützten Minderheitsregierung und hat den strikten Sparkurs der Vorgängerregierung umgekehrt und den Sozialstaat wieder ausgebaut. In Großbritannien verspricht der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn mit einem dezidiert linken Programm genau das Gleiche und war damit bei den Unterhauswahlen erfolgreicher als dies vom Mainstream für möglich gehalten wurde.

Die Lehre, die wir aus diesen europäischen Beispielen ziehen sollten, ist doch: Wir müssen unterscheidbar sein, mit einem klaren Profil und glaubwürdig zu unseren Inhalten und Zielen stehen. Wenn wir weiter Kompromisse mit der CDU/CSU als die großen sozialdemokratischen Erfolge preisen, wird das die Menschen kaum vom Hocker reißen. Wir müssen hart daran arbeiten, dass wir von den Bürgerinnen und Bürgern als politische Alternative, als Gegenentwurf zum Politik- und Gesellschaftsentwurf der Union wahrgenommen werden. Wenn wir das nicht sind, vermischen sich die demokratischen Parteien zu einem nebulösen Block, in dem die notwendigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen nicht mehr an der politischen Trennlinie Links / Rechts, sondern an der Trennlinie demokratisch vs. rechtspopulistisch. Wenn die Menschen nicht mehr das Gefühl haben, dass die Wahlen innerhalb des demokratischen Spektrums zu wahrnehmbaren Unterschieden in ihrem täglichen Leben führen, wenden sie sich einer anderen politischen Alternative zu. Dies kann man in unserem Nachbarland Österreich sehen, wo eine rechtspopulistische, offen rassistische und zum Teil rechtsextreme Partei in der Regierung sitzt. Auch der Wahlerfolg von Marine Le Pen in Frankreich im vergangenen Jahr spiegelt diese Auseinandersetzung wieder. In einer Großen Koalition heben wir die AfD in den Stand der Oppositionsführerschaft im Deutschen Bundestag. Die Vertreterinnen und Vertreter dieser Partei werden es sein, die den politischen Gegenentwurf zu den Kompromissen der Großen Koalition aufzeigen. Ein prominenter Platz in den Medien und der Öffentlichkeit ist ihnen damit sicher. Wir wissen, dass die AfD die gesellschaftliche Debatte mit Halbwahrheiten, aus dem Zusammenhang gerissenen Argumenten und ständiger Provokation vergiftet. Es besteht die große Gefahr, dass die Oppositionsführerin AfD noch stärker als zuvor Hass und Ressentiments schürt und die gesellschaftlichen Debatten nach rechts verschiebt. Auch das ist in europäischen Nachbarländern wie Dänemark und Österreich, die schon länger mit rechtspopulistischen Parteien zu tun haben, zu beobachten.

Weder Regierung noch Opposition bilden eine Garantie für die notwendige Erneuerung unserer Partei. Klar ist aber, dass die inhaltliche Profilierung in einer Großen Koalition sehr schwierig wird. Das liegt zum einen an unseren möglichen Koalitionspartnern. Diese haben sich immer wieder als vertragsuntreu präsentiert. Die nun verhandelten Kompromisse im Koalitionsvertrag bilden keine Garantie für deren Umsetzung, so wie sie festgelegt wurden. Bestes Beispiel ist die Grundrente, die unter dem Namen solidarische Lebensleistungsrente bereits 2013 im Koalitionsvertrag stand und sich nun mit weiteren Ausnahmen, wie einer Bedürftigkeitsprüfung wiederfindet. Dieses Schicksal könnten auch andere sozialdemokratische Lieblingsprojekte erleiden, denn die Union ist angesichts ihres Wahlergebnisses, dem zunehmenden Grummeln in der CDU und der bevorstehenden Nagelprobe in Bayern für die CSU mehr als willig, jede progressive Gesetzgebung zu blockieren. In den vergangenen vier Jahren hat die SPD dem kaum etwas entgegengestellt. Weder Lebensleistungsrente noch Rückkehr von Teil- auf Vollzeit wurden verabschiedet. Die dringend notwendige Reform der Pflegeberufeausbildung wurde jahrelang blockiert, die Entgelttransparenz verwässert. Die Union ist mit diesem Kurs aus ihrer Sicht erfolgreich gefahren, warum sollte sie es nun anders machen? Warum sollte die Kanzlerin ausgerechnet in der Europapolitik auf einen sozialdemokratischen Kurs einschwenken, wenn es doch die Regierungschefin ist, die hier die entscheidenden Leitlinien vorgibt, nicht ein sozialdemokratischer Außen- oder Finanzminister? Zwar sind im Koalitionsvertrag Änderungen in der deutschen Europapolitik angelegt. Ob diese auch im tagtäglichen Regierungshandeln so umgesetzt werden, wie sich das viele SozialdemokratInnen erhoffen, liegt letztendlich an Frau Merkel und ihrer Richtlinienkompetenz.

Zum anderen sind wir als SPD selbst nicht in der Lage, klar unseren Standpunkt zu vertreten und uns gegen die CDU/CSU durchzusetzen. Erreichte Kompromisse wurden nicht ehrlich als das präsentiert, was sie sind, nämlich Kompromisse, sondern als originär sozialdemokratische Politik präsentiert. Vor Konflikten in der Regierung mit der Union scheuen wir zurück und waren bisher zu vorsichtig, eigene weitergehende Ideen zu entwickeln – auch immer mit dem Hinweis, doch die eigenen MinisterInnen nicht zu beschädigen. Diese Kommunikationsstrategie führen wir jetzt schon weiter, bevor die Koalition überhaupt zustande kommt und präsentieren jeden noch so kleinen Punkt als Riesenerfolg, bspw. die einzusetzende Kommission für die Reform von Arzthonoraren. Weder ist verabredet, welcher Art deren Vorschläge sein sollen noch ob diese Vorschläge jemals umgesetzt werden. Ehrlich wäre zu sagen, dass wir uns hier nicht durchsetzen konnten und nicht, dass diese schwammigen Formulierungen ein Einstieg ins Ende der sog. Zwei-Klassen-
Medizin sind. Wenn wir nicht über das von Kompromissen geprägte Regierungshandeln hinausdenken (dürfen), wie soll dann eine inhaltliche Erneuerung der SPD möglich sein?

Wir müssen diese Erneuerung angehen und sie muss inhaltlich, organisatorisch und personell vollzogen werden. Eine Große Koalition wird das erheblich erschweren. Eine Oppositionszeit ist dafür kein Garant. Aber sie bietet die Chance, dass sich die 155 Jahre alte SPD einer Frischekur unterziehen kann. Zum Nutzen für die Partei. Und zum Nutzen für unsere Demokratie.

von Hilde Mattheis, MdB
Bundesvorsitzende Forum DL21